MYTAXI: Die sieben Todsünden der App-Revolutionäre

In vielen kürzeren und längeren Gesprächen bei mytaxi konnte der Autor, erster regulärer Android-Fahrer beim mytaxi-Testbetrieb 2010, die Entwicklung der Tourvermittlungs-Revolutionäre verfolgen. Dabei wurden in den ersten vier Jahren ziemlich viele meist ziemlich lange Erörterungen mit den Gründern und Geschäftsführern Sven Külper und Nic Mewes geführt. Zuletzt am gestrigen Abend, als man zusammen mit einigen Schwergewichten des Hamburger Taxengewerbes am Konferenztisch in der Großen Elbstraße zusammensaß.

 

Das nüchterne Fazit ist: Viel wurde in den vier Jahren erreicht für das Taxengewerbe – und genauso viel wurde vermasselt. Auf der Habenseite ist der erfolgreiche Beweis, dass es sehr wohl möglich ist, mit einer strikt kundenorientierten Tourvermittlung die Zentralen-Verhältnisse zum Tanzen zu bringen. Bewiesen wurde, dass ein diskriminierungsfreier Zugang für jeden Taxifahrer nicht im Gegensatz stehen muss zu einer von den Tourbestellern geschätzten Bedienqualität. Und dass es möglich ist, eine zunehmende Menge der Bestellkunden auf ein vollautomatisches Vermittlungssystem zu bringen, mit dem längerfristig die Tourenkosten für die Taxiunternehmer nachhaltig zu verringern sind.

 

Die gleichen, die anfangs fast alles richtig gemacht haben, stehen durch ihre derzeitige Mischung aus Praxisferne und Beratungsresistenz bei vielen engagierten mytaxi-Begleitern tiefknie im Erwartungs-Dispo. Nach dem unglaublichen Fehlgriff mit der flächigen Kündigung von Verträgen am 8. Januar 2014 und dem schlechten, nein: verheerenden Krisenmanagment in Folge des größten medialen Shitstorms, welchen die deutsche Taxibranche bis dato gesehen hat, bleibt nicht viel mehr als festzuhalten: Die Gründer haben Maß und Kompass verloren.

 

Jetzt zappeln die im Taxengewerbe vielfach wohlwollend als „die plietschen Jungs aus Hamburg“ Bezeichneten, möglicherweise geblendet von ihren Anfangserfolgen, in einem selbstverschuldeten Netz aus sieben Todsünden. Jede einzelne dieser Todsünden könnte reichen, eine längst noch nicht gefestigte Unternehmung mit fragilen Kennzahlen, sowohl beim Tourengeschäft als auch bei der Bedienfähigkeit, ernsthaft zu beschädigen. In der Massierung sind diese sieben Todsünden eine echte Gefahr für das Erreichte. Diese sieben Todsünden sind im Einzelnen:

 

Die Arroganz

Wenn Menschen an ruhigen Arbeitsplätzen auf großen Bildschirmen etwas entwickeln, das andere in ruckelnden Fahrzeugen auf kleinen Smartphones bedienen sollen, kann das nur gutgehen, wenn die Entwickler dienend gegenüber den künftigen Nutzern handeln. Wenn Taxifahrer, nach einer erledigten Tour, zurückfahren durch wechselnde Stadtteile und fahrend auf dort wechselnde Gebotshöhen reagieren sollen, dazu sich konzentrieren sollen auf einen Schiebeschalter für die Gebotshöhe, während sich die Kutscher eigentlich nur und ausschließlich auf den Straßenverkehr zu konzentrieren haben, dann grenzt eine solche praxisferne Vorgabe an Anmaßung. Wenn Leute, die selbst Taxifahren nur von hinten rechts und nicht von vorne links kennen, andere zwangsbeglücken wollen mit einem neuen, während der Fahrt schlicht unpraktikablem Vermittlungssystem, und das als von den Betroffenen als zutiefst unfair empfundene Vorgehen auch noch als „Fairmittlung“ verkaufen wollen, dann ist mit dieser Zwangsbeglückung die Todsünde „Arroganz“ vollständig erreicht.

Es kann auch nur arrogant genannt werden, wenn nach draußen die Rücknahme eines rechtlich unhaltbaren Zustandes „Quittungsverbot für Bartouren“ kommuniziert wird, aber „vergessen“ wird, gleichzeitig mitzuteilen, dass trotzdem dem Fahrgast von mytaxi der vom Taxifahrer eingetippte Bartour-Betrag übermittelt wird. Solche Kontroletti-Strukturen auch noch als „Kundenservice“ zu verkaufen, wo doch klar ist, dass auschließlich Taxler die zahlende Kunden eines Tourvermittlers sind, ist eine besonders üble Art der Arroganz.

 

Die Ausbeutung

Wenn sich ein Dienstleister auf einen Markt begibt, der bekannt ist für seine Niedriglöhne und schlechten Arbeitsbedingungen, dann muss das einen echten Mehrwert für diese Kunden bringen. Wenn ein Anbieter für den Taximarkt ein vollautomatisches Vermittlungssystem etabliert, dann muss er seine Kunden teilhaben lassen an den dramatisch günstigeren Vermittlungskosten gegenüber einem personalintensiven Callcenter namens Taxizentrale. Wer aber selbst wenig Maß hält bei seinen Kosten z.B. für die mittlerweile zwei Etagen eines gleichermaßen repräsentativen wie teuren Bürohauses mit schönem Elbblick und angesagter Lage, und dann in finanzielle schwierige Fahrwasser gerät, und statt an seiner Kostenstruktur zu arbeiten lieber in die Taschen des lt. Statistischem Bundesamt das Niedriglohn-Segment anführende Taxigewerbe greifen will, der begeht die Todsünde der Ausbeutung.

 

Die Besserwisserei

Der Angler macht etwas falsch, wenn er die Qualität eines Wurmes daran misst, ob er ihm mundet. Der Wurm muss nicht dem Angler schmecken, sondern dem Fisch. Eine Tourvermittlung muss nicht dem Programmierer oder dem Investor gefallen, sondern dem zahlenden Kunden – jedenfalls, wenn er lange einer bleiben soll. Dieser Regel kann sich langfristig auch nicht der Besserwisser entziehen, der bisher, unbeleckt von Praxis und Verständnis für die tatsächlichen Kunden-Bedürfnisse, dem Taxengewerbe eine neue Vermittlungslogik aufnötigen will. Die Einsicht, etwas „in der Kommunikation“ sei falsch gelaufen, lässt der Besserwisser keine Taten folgen, z.B. das von den allermeisten Praktikern verdammte Modell einer Tourversteigerung erst einmal auf Eis zu legen und es noch einmal mit einer besseren Kommunikations-Strategie neu zu versuchen. Der Besserwisser interessiert sich nicht für Fakten, sondern für Ideen, seine Ideen, nicht die Ideen derjeniegen, für die er arbeitet. Er heuchelt Interesse, aber er macht unverdrossen sein Ding. Der Besserwisser glaubt, er käme damit langfristig durch. Von allen Todsündern ist der Besserwisser der Dümmste.

 

Die Intransparenz

Ein Start-Up, eine Internetfirma, ein App-Anbieter, seine Geschäftsführung und seine Mitarbeiter wollen auf jeden Fall eines sein: Up-to-date, auf der Höhe der Zeit. Von dort aus soll die Zukunft mitgestaltet werden. Transparenz ist up-to-date, schwer angesagt und ganz sicher die Zukunft. Was ist ein Start-Up mit einer vierjährigen Strategie von Geheimniskrämerei, fehlenden Fakten, ganz offensichtlich falschen Zahlen und einer Weihrauchstrategie, die gut riecht, aber vernebelt? Nicht auf der Höhe der Zeit. Da wird von einer schlecht vorbereiteten Geschäftsführung von bisherigen Vermittlungskosten „von fünf bis sechs Prozent“ geredet, die beim Nachrechnen bei einer der Referenztour von € 12,- aber über 7% beträgt (und damit kommt man derzeit nicht aus). Da wird behauptet, „mehr als 70% der mytaxi-Fahrer“ hätten die neuen AGBs und Preise akzeptiert, obwohl Fahrer ab 1.2.2014 gar keine Verträge mehr mit mytaxi machen können, sondern nur noch Unternehmer. Oft fährt nur ein Teil deren Angestellten mit mytaxi, die komplette Fahrer-Summierung ist plump und durchschaubar. Und es werden „12.000“ angeblich weitermachende Fahrer von bisher „18.000“ summiert als „über 70%„, was auch nicht als Excel-Rundungsfehler durchgehen kann. Überhaupt: Wer sich nach vier Jahren immer noch nicht traut, zumindest einmal die Größenordnung seiner Vermittlungszahlen zu kommunizieren, der begeht die schlimmste Todsünde der Moderne: Die Intransparenz.

 

Die Maßlosigkeit

Statt die bestmögliche Fahrer- und Besteller-App zu bauen, möglichst von Anfang an und nicht erst bei der dritten Komplett-Neu-Version, verheddern sich offensichtlich mit dem Durchsetzen von Stringenz Überforderte mit Nichtigkeiten wie einem Werbefernsehen im Taxi. Statt sich dem Kernmarkt Deutschland mit aller Kraft zu widmen und Engagierte vor Ort mit Entschiedenheit beim Aufbau einer lokalen mytaxi-Flotte zu unterstützen (Bremen, Osnabrück – die Liste der Versäumnisse ist leider länger), glauben Maßlose, Washington D.C. hätte nur auf sie gewartet. Maßlos auch die Zahlen: Wer für seine App-Vermittlung ernsthaft 45.000 Fahrer weltweit angibt, davon im Kernland 18.000 , der merkt vielleicht bei seiner wahllosen Angabe von größtenteils Karteileichen – viele in Voll-,  manche in Teilzeit – nicht, wie verheerend unseriös diese Maßlosigkeit da draußen ankommt. Tatsächlich sind pro Stadt einige Dutzend Fahrzeuge mit aktivem mytaxi-Anschluss unterwegs, in einer Handvoll deutscher Großstädte real einige hundert. Fünfstellig? Und wovon wird bei den Maßlosen nachts geträumt?

 

Die Trägheit

Mit mittlerweile vierzig Programmierern ist mytaxi gerade einmal zwei ernsthafte Innovationen geglückt: Die reine Tourvermittlung per App – und das funktionierende Besteller-Bindungssystem „Payment“, eine tolle Möglichkeit der Tourbezahlung per App. Auf Weiteres, auf Hilfreiches für den Taxler-Alltags wird seit Jahren vergeblich gewartet: Auf ein Message-Sytems (wo Stau? wo Blitzer? wo Hotel XY?), ein funktionierendes Flottenmanagment, einer Übersicht der Geschäftslage (in Ermangelung von Sektoren/Bereich z.B. nach Stadtteilen), eine Notfall-/Alarmbehandlung, eine Navigationsfunktion, nicht einmal der in der Besteller-App schon vorhandene Fahrpreisrechner. Stattdessen wird die Oberfläche der Besteller-App zum x-ten Mal aufgehübscht. „Agilität“ ist bei dem Programmier-Team leider nur ein Schlagwort, die Praxis ist: Trägheit.

 

Der Pakt mit dem Teufel

Das neue Versteigerungs- und Provisionsmodell wird die ehrlichen Taxiunternehmer (in Hamburg mittlerweile über 1300 Taxen mit Fiskaltaxameter) benachteiligen gegenüber den unehrlichen. Wer seine Umsätze und Löhne durch die Bücher laufen lässt, kann für eine Taxitour, besondern eine längere, keine 10% oder 15% bezahlen. Das können nur die, und das ist im Rest Deutschlands außerhalb Hamburgs die große Mehrheit, deren Buchführung mit „unvollständig“ nett ausgedrückt ist. Die, die mit ihren Schwarzeinnahmen jenen ehrlichen Taxiunternehmern massiv Konkurrenz auch auf dem Fahrer-Markt machen. mytaxi macht sich mit seinem neuen Vermittlungs- und Provisionsmodell zum Hehler der Stehler. Um seine Einnahmen zu erhöhen (eine Kostensenkung scheint nicht in Frage zu kommen – warum eigentlich nicht?), geht das saubere, das cleane Internet-Start-Up eine Koalition mit dem schmutzigen Teil des Gewerbes ein.

 

Geld stinkt nicht? Dieses Geschäftsgebahren stinkt zum Himmel. Und wenn es nicht der Himmel sein sollte, der diese sieben Todsünden bestraft, dann wird es der Markt sein. Oder die britischen und US-amerikanischen App-Anbieter mit noch viel, viel mehr Geld als mytaxi. Die warten nur darauf, dass mytaxi seine Taxiunternehmer und -fahrer nachhaltig verärgert und Stimmung sowie Bedienfähigkeit nachhaltig verschlechtert. Dass sich also große Lücken auftun, in die ein Neuanbieter dann einfallen kann. Aber vielleicht warten wir Taxler auch nicht auf ferne weiße Ritter. Vielleicht ziehen wir selber die Rüstung an und kämpfen mit einer eigenen App und einer eigenen Tourvermittlung um unser Geschäft. Die Technik ist mittlerweile günstig verfügbar. Das ist auch das Verdienst der mytaxi“ler, welche sich aber gerade alle Mühe geben, selbst nicht langfristig zu den Profiteuren der von ihnen erfundenen Tourvermittlung zu zählen.

 

 
 
 
 
 
Erstveröffentlichung: 30. Januar 2014 (2. korrigierte Fassung)
 
 
 
Text + Foto: Clemens Grün
 
 
 
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