MYTAXI: Das Desaster der „Fairmittlung“ in Zahlen

Am 3. April 2014 bekamen die mit dem mytaxi-System fahrenden Taxifahrer- und Unternehmer eine werbende Nachricht vom „Team von mytaxi“ zugesandt. Einfühlsam und geschmeidig wird in dem Schreiben (dokumentiert am Ende des Artikels) geschildert, dass in der Fahrerschaft zwar anfangs Bedenken gegen das neue Provisions- und Vermittlungssystem geherrscht habe, sich die Skepsis aber bei vielen Kollegen nun gelegt hätte. Manche seien anfangs zwar „sehr skeptisch“ gewesen, zeigten sich nun aber „sehr positiv überrascht“. Dass sich die Mehrheit der in der „TAXI“-Gruppe bei Facebook und andernorts äußernden Taxi-Kollegen in der in rosaroten Tönen gemalten mytaxi-Veröffentlichung nicht wiederfinden, muss niemand überraschen. Transparenz und Ehrlichkeit waren leider noch nie Markenzeichen von mytaxi.

 

Überraschen muss aber, dass selbst die von mytaxi veröffentlichen Zahlen, wenn man sie gegeneinander rechnet und gewichtet, ein unerfreuliches, teils düsteres Bild ergeben. Dabei darf – die Korrektheit der veröffentlichen Zahlen zwar nicht überprüft, hier aber einmal unterstellt – angenommen werden, dass es nur die schönsten und freundlichsten Zahlen in die mytaxi-Veröffentlichung geschafft haben und schlechtere unter den Tisch fielen.

 

Ein analytischer Blick auf die veröffentlichen Zahlen ergibt Folgendes:

 

Zahl 1: „Die Vermittlungsgebühr lag im Schnitt bei 7%.

Die genannte Zahl bezieht sich auf die ersten „Fairmittlungs“-Monate Februar und März 2014. Im ersten Monat haben nach meiner Einschätzung eine Reihe von Fahrern unvernünftig hoch geboten, um an mytaxi-Touren zu kommen. Nach der ersten Provisions-Abrechnung zu den neuen, verschlechterten Konditionen Anfang März dürfte eine Reihe von Kollegen hier vorsichtiger geworden sein. Wenn nun eingeräumtermaßen „die Vermittlungsgebühr (…) im Schnitt bei 7%“ lag, spricht das dafür, dass die Zahl der Hochbieterei-Verweigerer mittlerweile erheblich größer geworden ist, als es viele Taxi-Kollegen und auch die Verantwortlichen bei mytaxi erwartet haben.

 

Zahl 2: „Fast die Hälfte der Touren wurden im Februar für unter 5% vermittelt.

Mit dieser Zahl wird die These zu „Zahl 1“ weiter bestätigt. Demnach ist der Anteil von Hochbietern vermutlich geringer als ein Fünftel der Fahrer, die nicht mehr als geschätzte 30% der Touren erhalten. Die große Mehrheit der mytaxi-Fahrer bewegt sich demnach mit ihren Geboten im kleineren einstelligen Bereich. Viele davon dürften zu den 3% bis 5% Bieterei-Verweigerer zählen, die nach wie vor keine je nach Geschäftslage anzupassende variable Biethöhe einstellen – ein Misserfolg für mytaxi.

 

Wenn „fast die Hälfte der Touren (…) im Februar für unter 5% vermittelt“ wurden, andererseits „die Vermittlungsgebühr (…) im Schnitt bei 7%“ lag, dann muss der Schnitt der höher gebotenen Vermittlungs-Provision bei 8,x% gelegen haben. Das stützt die These, dass nur ein kleiner Teil der Fahrer 15% bietet, was aber im eklatanten Widerspruch zu der in den Innenstädten und anderen Tourschwerpunkten wie Flughäfen wie festgetackert angezeigten Meldung „15% Bieten Kollegen“ steht. Die Zahl ist, stimmen die von mytaxi jetzt veröffentlichen Zahlen, demnach irreführend für die tatsächliche Masse an Geboten. Man könnte mit Fug und Recht auch von einer willentlichen Verfälschung des tatsächlichen Bildes sprechen.

 

Zahl 3: „Durchschnittlich zahlen Sie jetzt 0,87 Euro für die Vermittlung einer Fahrt.

Würde das stimmen, wäre es eine Katastrophe für die mytaxi-Verantwortlichen, die mit dem neuen Provisions- und Vermittlungsmodell signifikant höhere Umsätze erreichen wollten. Denn nach dem Schock, den einzelne Taxifahrer und -Unternehmer durch die erste Abrechnung über die plötzliche Abrechnungshöhe bekommen haben, wenn z.B. Touren zum oder vom Flughafen nicht mehr € 0,79 , sondern mehrere Euro gekostet haben, gehen jetzt (noch) mehr Fahrer zu kleineren Gebotshöhen über. Vermutlich wird in den nächsten Monaten der Trend zu geringeren Geboten anhalten, weil sich herumspricht, dass man auch mit kleineren Prozentzahlen eine ausreichende Menge an Touren bekommt als „Sahnehäubchen“ obendrauf auf den sonstigen Tourenkuchen.

 

Es ist bei dieser Zahl zu bedenken, dass einige längere Touren schon bei 3% mehr kosten als die ursprünglichen € 0,79 . Konkret: Jede Tour über € 26,40 bei Bar- oder Kartenzahlung. Rechnet man diese Touren aus der Provisions-Steigerung um € 0,06 (= 10% mehr) heraus, ergibt sich für die Betrachtung der Gebotshöhen eine für mytaxi noch ungünstigere Betrachtungsweise. Die veröffentlichen Zahlen besagen auch hier: Ein große Mehrheit der mytaxi-Kutscher verweigert sich der Hochbieterei.

 

Zahl 4: „Der größte Teil der Fahrer erhält mehr Touren als vorher.

Das ist, ohne jede Zahlenangabe und ohne jede Substantiierung, unplausibel, schlimmer: unglaubwürdig. Es passt auch nicht zu dem jahreszeitlich bedingten Tourenrückgang sowie der schlechten Presse, welche mit Sicherheit zu keinem Touren-Boom, sondern vermutlich zu einem Touren-Rückgang geführt haben. Hinter der „Zahl 4“-Aussage könnte aber das Eingeständnis stecken, dass sich die Zahl der weggegangenen Wagen und Fahrer in einer deutlich höheren Region als anderswo veröffentlich bewegt. Im Interview mit der Internet-Seite „TechCrunch“ hatte mytaxi-Mitgründer und -Mitgeschäftsführer Sven Külper vor Kurzem von 1000 Taxis gesprochen, die wegen des neuen Provisions- und Vermittlungssystems mytaxi den Rücken gekehrt haben. Er behauptete, von vorher 18.000 mytaxi-Vertragstaxen in Deutschland gäbe es nunmehr „nur noch“ 17.000 . Ohne hier näher auf diese grotesken Phantasiezahlen eingehen zu wollen: Wenn trotz saisonalem Tourenrückgang und trotz schlechter Presse im Februar angeblich „der größte Teil der Fahrer (…) mehr Touren als vorher“ erhalten haben soll, dann gibt es mathematisch darauf nur eine schlüssige Antwort: mytaxi sind nicht 5,5% der Wagen abhanden gekommen, sondern erheblich mehr – überschlagsmäßig in der Größenordnung zwischen 20% und 30%.

 

Übrigens: „1000 Taxis“ bedeutet rein rechnerisch: Mehr als 1000 Fahrer. Verliert mytaxi von zwei mytaxi-Fahrern auf einem Schichtwagen einen der beiden, bleibt es zwar bei dem Verlust von 1000 Taxis, aber es sind dann mehr als 1000 verlustig gegangene Fahrer. Umgekehrt geht es mathematisch nicht, weil ein Taxi immer mindestens einen Fahrer haben muss.

 

Zahl 5: „Über 30% der Fahrten werden per App bezahlt, Sie kostet das kein Disagio mehr.

Das passt überhaupt nicht zu meinen privaten Zahlen. Im Dezember 2013 hatte ich von 88 mytaxi-Touren 26 Payment-Touren, und im Januar 2014 von 75 Touren 25 Paymenttouren. Aber: Von diesen Touren sind jeweils rund ein Dutzend Touren von Privatkunden, die teils zu festen Terminen mit mir fahren oder mich privat per WhatsApp oder Telefon bestellen. Die tätigen dann ihre mytaxi-Order aus unserem fahrenden Taxi heraus, weil mytaxi es – entgegen früherer Ankündigungen – bis heute nicht vermocht hat, mytaxi-Payment auch für nicht vermittelte Touren anzubieten. Diese Kunden würden aber, sollte ich mal nicht mehr mit mytaxi unterwegs sein, bei mir bleiben und, wie früher, per Karte zahlen. Rechne ich diese Kunden und Touren heraus, sind es dann höchstens ein Viertel der Touren, die per App-Zahlung beglichen werden. Wohlgemerkt bei einem Fahrer, der grundsätzlich klaglos bargeldlose Touren annahm und annimmt – was bei mytaxi-Fahrern keine Selbstverständlichkeit ist. Insofern dürfte meine ca. 25% real von mytaxi selbst vermittelten Payment-Touren (was zumindest die Betrachtungsweise bis Ende Januar 2014 betrifft) eher im oberen Bereich liegen.

 

Sollte aber 30% stimmen, wäre es ein weiteres Indiz für einen Rückgang der Gesamt-Tourenmenge bei mytaxi, so dass der Anteil der durch das Kundenbindungs-System „Payment“ verbleibenden Touren auf 30% hochschnellen würde. Das würde einen Tourenrückgang von mehr als 5% bedeuten und die mytaxi-Behauptung in „Zahl 4“ noch unglaubwürdiger erscheinen lassen.

 

Es lohnt neben dem Blick auf die Kennzahlen auch ein weiterer auf die Chuzpe im mytaxi-Fazit: „Wir bei mytaxi sind heute mehr denn je von der neuen Vermittlung überzeugt und halten auch in Zukunft daran fest. Sie hat sich schon in den ersten Wochen bewährt und dafür gesorgt, dass mehr Fahrgastanfragen vermittelt werden konnten.“ Hier wird feinsinnig, wo flüchtige Leser und auch viele Taxifahrer „Touren“ lesen und verstehen, lediglich von „Fahrgastanfragen“ gesprochen. Gemeint ist: Es gab nicht mehr von mytaxi vermittelte Touren (die sind vermutlich ob der Saison und der schlechten Presse merklich gesunken), sondern nur eine Steigerung der Quote an vermittelten „Fahrgastanfragen“. Was hier verschwiegen, aber andernorts von mytaxi eingeräumt wird: Fast jede zehnte „Fahrgastanfrage“ wird weiterhin nicht vermittelt. Zählt man die erstaunlich hohe Zahl an Tourabbrüchen sowohl durch Tourbesteller als auch mytaxi-Fahrer hinzu (nach glaubwürdigen Berichten aus dem Inneren von mytaxi in der Vergangengeit jeweils teils deutlich über zehn Prozent), wird aus einer „Vermittlung„, die sich „bewährt“ hat, eher ein abschreckendes Beispiel für ein Vermittlungssystem der Güte „mehr schlecht als recht“.

 

Es ist bei den von mytaxi veröffentlichen Zahlen immer zu bedenken: Zum einen können die Zahlen nicht von neutraler Seite geprüft werden, und die veröffentlichten sind im Hinblick auf nachprüfbare Zahlen auch nicht sonderlich plausibel. Zum anderen sind die Zahlen mit der klaren Absicht veröffentlicht worden, bei der großen Mehrheit der zahlenden Vertragskunden den Konsens der Ablehnung zu knacken. Wenn aber schon die veröffentlichen Zahlen ein für mytaxi so unerfreuliches, teils düsteres Bild abgeben und eine für die Investoren und Mitarbeiter von mytaxi negative Entwicklung dokumentieren, wie mag es dann erst um die Zahlen bestellt sein, die mytaxi nicht mitteilt?

 

 

———— ANHANG: mytaxi-Nachricht vom 3.4.2014 ————–

Liebe mytaxi Fahrer(innen) und Taxiunternehmer(innen),


die ersten Wochen mit dem neuen Anfrage- und Preismodell liegen hinter uns. Sie haben Ihre erste Abrechnung von uns erhalten und wir haben Sie in einer Umfrage nach Ihren Erfahrungen gefragt. Mit diesem Sondernewsletter möchten wir Ihnen heute die Ergebnisse aus der Umfrage und ein paar O-Töne der Teilnehmer präsentieren.

 

 

Mike Tangermann, Berlin
„Ich habe sehr skeptisch die Gebühr auf 5 % eingestellt und bin doch sehr positiv überrascht.“

Zuerst ein paar Zahlen aus dem Februar im Überblick:
Die Vermittlungsgebühr lag im Schnitt bei 7%.
Fast die Hälfte der Touren wurden im Februar für unter 5% vermittelt.
Durchschnittlich zahlen Sie jetzt 0,87 Euro für die Vermittlung einer Fahrt.
Der größte Teil der Fahrer erhält mehr Touren als vorher.
Über 30% der Fahrten werden per App bezahlt, Sie kostet das kein Disagio mehr.

 

 

Die Umfrage zur neuen Vermittlung.
An unserer Umfrage zu den ersten Erfahrungen mit der neuen Vermittlung haben sich insgesamt 573 Fahrer und Unternehmer beteiligt. Wir haben alle Aussagen ausgewertet. Zwei Themen wurden dabei sehr häufig angesprochen. Zum einen die längere Wartezeit der Fahrgäste und zum anderen das Thema Trinkgeldeingabe bei Barfahrten.

Moussa Bouziri, Düsseldorf
„Als die neue Fairmittlung rauskam, war ich im ersten Moment enttäuscht.“

Das Ergebnis der Umfrage.
Wir haben uns mit beiden Punkten intensiv beschäftigt. Hier sind die Ergebnisse:

1. Wartezeit: Die ersten Wochen haben gezeigt, dass in einigen Fällen tatsächlich eine längere Wartezeit entstanden ist. Das ist natürlich auch nicht in unserem Sinn und wir haben uns dem Thema sofort angenommen und den Anfrageradius verkleinert. Die ersten Tage haben gezeigt, dass sich die Wartezeiten für Fahrgästedadurch deutlich verkürzt haben.

2. Trinkgeld: Bei Barfahrten muss ab sofort nur noch der am Taxameter angezeigte Endpreis in die App eingegeben werden. Das Trinkgeld brauchen Sie nicht mehr mit angeben.

Mirsad Icagic, Hamburg
„Bin sehr zufrieden.“ 😯

Unser Fazit nach den ersten Monaten.
Sicher gibt es noch weitere Dinge, die wir mit Ihnen gemeinsam verbessern können. In Kürze starten wir dazu den mytaxi Treff, eine regelmäßige Veranstaltung für interessierte Fahrer und Unternehmer, um solche und andere Themen zu diskutieren.

 

Fakt ist: Wir bei mytaxi sind heute mehr denn je von der neuen Vermittlung überzeugt und halten auch in Zukunft daran fest. Sie hat sich schon in den ersten Wochen bewährt und dafür gesorgt, dass mehr Fahrgastanfragen vermittelt werden konnten.

Und natürlich freuen wir uns, dass Sie auch weiterhin dabei sind. Falls Sie Fragen oder Anmerkungen haben, finden Sie in Ihrem Standortbüro oder an unserer Hotline 040 306 06 89 10 (Mo.-Fr. 9-19 Uhr) immer ein offenes Ohr.

Viele Grüße

 

Ihr Team von mytaxi

 

 

 

 

Erstveröffentlichung: 7. April 2014
 
 
 
Text + Foto: Clemens Grün
 
 
 
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