LOHNTARIF: Gutsherrenart oder Sozialromantik? Eine Branche im Umbruch

Betrachten wir die Ausgangssituation: Im Hamburger Taxengewerbe werden angestellte Fahrer nach Leistung bezahlt, das heißt, es zählt nur das, was am Ende der Schicht auf dem Taxameter steht. Dazu gibt es zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer eine individuelle Vereinbarung über den prozentualen Anteil, den der  Fahrer als Bruttolohn erhält. Diese ist, so der derzeitige Zustand, nicht einmal für die gesamte Branche innerhalb Hamburgs einheitlich, sie variiert mit Schwankungsbreiten von 35% bis zu 50%, dazu unterschieden in „vom Brutto- oder Nettoumsatz“. Es gibt Vermietwagenmodelle mit Scheinselbständigkeit des Fahrers, es gibt Alleinfahrer, Fahrer ohne Funk, Fahrer mit Funk, Aushilfsfahrer, Schichtsysteme bei Mehrwagenunternehmern – kurz eine bunte Mischung an Modellen zur Arbeitsausübung. Diese Situation garantiert der Branche die nötige Flexibilität und bietet den Fahrern teilweise großen Gestaltungsspielraum in der Ausgestaltung ihrer Arbeitszeit.

 

Allerdings sind Überschreitungen der gängigen Vorschriften hinsichtlich der Ausdehnung der Arbeitszeit in dem Gewerbe an der Tagesordnung und werden nur in besonders schwerwiegenden Fällen geahndet, meist im Zusammenhang mit Unfällen, oder bei stichprobenartigen Kontrollen der Behörde. Die Ursachen der Arbeitszeitausdehnung sind vielfältig: Manche können „den Hals nicht voll“ genug kriegen, andere müssen bis zu 16 Stunden im Auto zubringen, um ihre Lebenshaltungskosten bezahlen zu können. Manche Fahrer müssen trotzdem noch zusätzlich Hartz 4-Leistungen in Anspruch nehmen, um ihre Familien ernähren zu können. Die Ursachen dafür sind also genauso vielfältig wie die gesamte Branche. Oft wird eine zu hohe Anzahl von Taxenzulassungen als Grund angeführt, doch die Branche hat tiefgreifendere Probleme, wie eine genaue Betrachtung zeigt.


Das Entlohnungsmodell „nur nach Umsatz“ hat sich nach genauerer Betrachtung als absolut prekär herausgestellt. Eine kleine Gruppe von Taxifahrern hat sich genauestens mit der Thematik beschäftigt und herausgearbeitet, dass die bisher praktizierte Entlohnungsform auf den Prüfstand muss. Das hat mittlerweile sogar die zuständige Behörde auf den Plan gerufen, sie will am 20. Januar 2012 im Rahmen einer Anhörung dieses Thema mit den entsprechenden Verbänden und zuständigen Stellen erörtern. Man wird gespannt sein dürfen, was für Schlüsse die Aufsichtsbehörde daraus ziehen wird.

 

Das bisherige Entlohnungsmodell ist sogar in anderer Hinsicht auf den Prüfstand zu stellen: Darf es einem Angestellten zugemutet werden, nur nach Umsatz entlohnt zu werden? Diese Entlohnungsform ist die klassische Form bei der Provisionszahlung an Selbständige, z.B. Handelsvertretern, die das unternehmerische Risiko und somit die Verantwortung für sich selber tragen. Anders der Angestellte, er möchte eine gewisse Form von Sicherheit für sich, und für die hohe Verantwortung, die er als Taxifahrer für den Unternehmensgewinn trägt, eine zweifelsfrei berechtigte Forderung.

Wäre nun diese Branche eine mit fest vorhersehbaren täglichen Umsätzen für alle Beteiligten, könnte man vielleicht noch auf den Gedanken kommen, einen Angestellten so zu bezahlen; dass dies trotzdem höchst problematisch mit der bestehenden Gesetzeslage wäre, steht auf einem zusätzlichen Blatt. In einer Branche aber, wo keiner seinen täglichen Lohn vorher einschätzen kann, wird das eigentliche unternehmerische Risiko vollkommen auf den Fahrer abgewälzt! Das unternehmerische Risiko des Unternehmers besteht nur im Wesentlichen noch aus der Angst, ein Fahrer könnte schuldhaft den Wagen schrottreif fahren oder länger erkranken. Die eigentliche Umsatzverantwortung, die Verantwortung für die einzige Einnahmequelle des Unternehmers liegt bei den meisten Mehrwagen-Unternehmern einzig und allein auf den Schultern des angestellten Fahrers. Noch einmal: Das Umsatzrisiko wird vollkommen auf die Fahrerschaft abgewälzt. Alleine diese Ausgangssituation zeichnet die Probleme der derzeitigen Entlohnungsform auf.

 

Bei vielen Kollegen kommt nun die Forderung nach einem Mindestlohn auf. Heiß diskutiert wird in Taxi-Internetforen –  die Unternehmer äußern sich plötzlich wie Gutsherren, die sich einem Sklavenaufstand entgegen sehen. Empört schreien die Sozialromantiker unter den Taxifahrern wie Sklaven, die nach jahrzehntelanger Knechtschaft auf ihre Befreiung hoffen. Doch das Thema muss sachlich und nüchtern betrachtet werden.

 

Dass diese Branche einen Umbruch benötigt, dürfte inzwischen jedem klar sein. Dass die jetzigen Entlohnungsformen nicht mehr zeitgemäß sind, dürfte auch im Hinblick auf die generelle Mindestlohneinführung zur Grundsicherung der Angestellten in vielen Branchen außer Frage stehen. Auch unsere Branche wird sich, will sie einen Teil ihrer verlorengegangenen Reputation wieder zurück gewinnen, diesem Thema auf Dauer nicht verschließen können. Doch warum die plötzliche Aufregung?

 

Ein Taxifahrer verbringt bis zu ca. 80 % seiner Schichtzeit mit Bereitschaftsdienst, er steht und wartet auf Kundschaft oder einen Funkauftrag. Nach dem bisher praktizierten Entlohnungsmodell hieße das, er bekäme in diesem Falle nur 20 % seiner realen Arbeitszeit, denn Bereitschaftszeit ist nach Gesetzeslage ein Teil der Arbeitszeit, bezahlt. Nun fürchten natürlich viele Unternehmer, diese Bereitschaftszeit bezahlen zu müssen, also quasi dem Taxifahrer, der sich irgendwo in den Wald stellt, 10 Stunden Mindestlohn zu zahlen. Bei dieser Diskussion wird allerdings vollkommen übersehen, dass der Unternehmer natürlich bei einer solchen tarifähnlichen Vereinbarung ganz konkrete Möglichkeiten hätte, für solches Verhalten Abmahnungen auszusprechen, oder gar jemanden zu entlassen. Er müsste es sogar tun, weil er eine solche „Arbeitseinstellung“ nicht finanzieren könnte, denn er ist kein Samariter und er hat keinen Goldesel im Büro. Der Unternehmer wird künftig auch in der Praxis weitergehende Möglichkeiten in der Erteilung von Weisungen nutzen, als es bisher üblicherweise der Fall war. Darüber müssen sich die Mindestlohnbefürworter im Klaren sein. Unsere oft beschworene, aber kaum noch vorhandene „Freiheit“ würde weiter eingeschränkt werden können.
Was würde aus einem Mindestlohn resultieren?

 

Eine gesamte Bereinigung der Branche, wertneutral gesprochen, wäre schnellstens „notwendig“. Die heute unplausibel arbeitenden Betriebe würden noch vor der generellen Einführung des Fiskaltaxameters schließen müssen. Das Überangebot der Ware Taxi wäre ohne staatliche Einflussnahme sehr schnell vom Markt selber reguliert. Der seinen Betrieb plausibel führende Gutsherr dürfte wieder anfangen auf bessere Zeiten zu hoffen, und die Sozialromantiker hätten den Anfang einer sozialen Gerechtigkeit. Das jetzt schon bestehende Überangebot an Fahrpersonal/Taxen wird drastisch reduziert, anders gesagt, die Unternehmer, die ihre Massen-Konzessionen/Taxen nur 3-4 Tage besetzt kriegen, wären sehr schnell weg vom Markt. Das es davon in Hamburg zu viele gibt, ist kein Geheimnis.

 

Die Unternehmer bringen gerne das Argument der Ehrlichkeit ihrer Betriebe. Wenn sie ehrlich zu sich selber wären, wüssten sie schon heute, dass das Angebot einer Tätigkeit, bei der Teile ihrer Fahrerschaft zusätzlich Sozialtransferleistungen beziehen müssen, grenzwertig ist, sittenwidrig unter ethischer Betrachtung. Dennoch bietet diese Praxis viele Vorteile: Der ehemals Arbeitslose ist als Taxifahrer in Beschäftigung und verschwindet aus der Statistik, taucht später wieder in der Hartz 4-Statistik auf, was man aber seitens der Politik bisher nie als Problem gesehen hat. Das wird sich in Zukunft dringend ändern müssen, denn ein Job, von dem man als Vollzeitbeschäftigter nicht leben kann, schafft auf Dauer keine Ehrlichkeit bei allen Beteiligten. Arbeitszeitfälschungen und Schwarzarbeit sind die einige der unerwünschten Folgen. Ein Unternehmer, der solche Arbeitsverhältnisse guten Gewissens zulässt, tut dies auf dem Rücken der Allgemeinheit und betreibt seine Selbständigkeit auf Kosten der Gesellschaft.

 

Die Betrachtung des Mindestlohnes muss allerdings flankiert werden durch weitere Maßnahmen: So braucht das Gewerbe endlich eine vernünftige Tarifstrukur, bei der z.B. auf die Nichtentlohnung der verkehrsbedingten Wartezeit verzichtet wird. Die Politik kann nicht überall Mindestlohn und soziale Gerechtigkeit für alle fordern, parteiprogrammatisch unterstützt, und auf der anderen Seite unter Dienstaufsicht einer staatlichen Behörde die Nichtentlohnung von Arbeitszeit zulassen. Das ist fadenscheinige Doppelmoral.

 

Machen wir uns nichts vor: Das Modell Mindestlohn wäre eine gerechte Teilung der Risiken und Verantwortlichkeiten, bei gleichzeitiger Mindestabsicherung der Angestellten. Vielleicht würden dadurch auch die Unternehmer wieder lernen, unternehmerischer zu denken, und das nicht ihren Fahrern oder Funkzentralen zu überlassen. Vielleicht gehören dann endlich die Unternehmer, die ihren Fahrern bis heute nicht alle Kosten in vollem Umfang erstatten, zu den Aussterbenden ihrer Art.

 

Die Diskussion sollte allerdings nicht zu verbohrt weiter geführt werden.  So sind Kombinationsmodelle mit Mindestlohn und Umsatzbeteiligung, ähnlich wie im Vertrieb, denkbar und dazu geeignet, den Unternehmern ihre Urängste über den arbeitsscheuen Taxifahrer zu nehmen und auch den Taxifahrer nicht ganz in die Tagträumerei zu entlassen. Auch Beteiligungen am Unternehmenserfolg waren und sind immer wieder ein hervorragender Motivator für die Zufriedenheit der Angestellten. Eine zu starre Diskussion über einen fixen Mindestlohn ohne Wenn und Aber lässt bei der zukünftigen Entscheidungsfindung wenig Spielräume. Vieles wäre machbar, um eine generelle Verbesserung der gesamten Situation im Gewerbe zu erreichen. Wir brauchen für die notwendige grundlegende Veränderung unserer Branche, für eine zukünftige Wettbewerbsfähigkeit mit anderen Beförderungsformen in Hamburg, eine verantwortungsvollere und sozialere Gerechtigkeit als bisher, mit nachhaltiger Vorbildfunktion für das gesamte deutsche Taxengewerbe.

(Der Autor ist Mitglied in der Gewerkschaft ver.di und im „HTV Hamburger Taxenverband eV“)

Text: Marcel Bonacker

 

Foto: Siegfried Fries  / pixelio.de

Erstveröffentlichung: 10. Januar 2012


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