Das Zweifronten-Problem von mytaxi

Bei seinem Start 2009 verstand sich das Hamburger Startup Intelligent Apps nur als Technologie-Lieferant. Die „plietschen Jungs“ aus Hamburg boten zahlreichen Taxizentralen in Deutschland ihre neuartige Taxi-App an (früher Name One Touch Taxi, später, als man beim Nachzählen auf mindestens zwei nötige Touchs zur Taxi-Bestellung kam, die Umbenennung in mytaxi) . Nachdem nicht ein einziger Zentralen-Verantwortlicher das Potential erkannt und die neue Technik für seine Zentrale lizensiert hatte, versuchten sich die beiden Gründer selbst an der Tourvermittlung. Mit bei ihren Familien geliehenem Geld kauften sie kurzerhand 30 sündhaft teure iPhones. Mit diesen kostenlosen Leihgaben starteten in 2010 die ersten 30 Taxis in Hamburg in eine neue Ära der Tourvermittlung per Smartphone-App.

Gute fünf Jahre später ist die Selbstständigkeit dahin und aus dem Start-Up eine 100 %ige Tochterfirma des Daimler-Konzerns geworden. Das Kunden- und Tourenwachstum der ersten Jahre war dynamisch gewesen, aber das Wachstum an Mitarbeitern und Kosten noch dynamischer. Schon bei der dritten Finanzierungsrunde in 2013 zeigten sich die Investoren (Telekom, Daimler, Xing-Gründer Lars Hinrichs und andere) bei weitem nicht mehr so spendabel wie von den Gründern erhofft. Es öffnete sich die Schere zwischen Kosten und Einnahmen, und die überforderten Jungunternehmer wussten sich nicht anders zu helfen, als ab Februar 2014 mit einem undurchdachten Provisions- und Vermittlungsmodell – ein intransparentes Bietverfahren mit Schiebeschalter, von Kritikern zu Recht  als „Wettbüro“ bezeichnet – zu versuchen, eine saftige Preiserhöhung durchzusetzen. 1000 Taxis kamen der mytaxi-Flotte dadurch eingestandenermaßen abhanden – von damals ca. 4.000 Wagen. (Die einst genannten 18.000 waren schon eine lächerliche Übertreibung, die heute genannten über 40.000 sind es noch mehr.)

Durch eine von den Betreibern in Kauf genommene Verschlechterung der Bedienfähigkeit und Qualität der Vermittlung sprangen einige der bis dahin zufriedenen Bestellkunden wieder ab – sie bekamen nicht mehr so häufig die gewünschten Stammfahrer oder zumindest ein schnelles Taxi aus der Nähe. Stattdessen fuhren Kutscher mit schlechteren Bewertungen und einer längeren Anfahrt vor, die ihre unvorteilhaften Werte mit einem saftigen 15%-Gebot kompensierten. Wohlgemerkt: 15% Vermittlungsprovision vom Tourpreis – so teuer war und ist kaum eine der personalintensiven klassischen Taxizentralen. Und mytaxi wollte ursprünglich als Höchstgrenze sogar 30% einführen, was ihnen die zahlenden Kunden aber mit Internet-Shitstorm, Pressearbeit und Taxidemo schnell wieder austrieben. Das Ergebnis dieses Versuchs, aus jeder Tourvermittlung mehr rauszupressen als die ursprünglichen € 0,79 Pauschalpreis pro erfolgreich vermittelter Tour, war, dass viele Touren von Kunden entnervt storniert wurden, weil ihnen mytaxi für ein paar Cent höhere Einnahmen einen schlechter bewerteten Fahrer mit seinem Taxi aus einer ganz anderen Ecke der Stadt vermittelt hatte statt einen besser bewerteten aus der Nähe, der aber nur mit einem kleinen Gebot unterwegs war.

In diese Phase mit vielen zornigen Fahrern und immer öfters unzufriedenen Fahrgästen – aus beiden Lagern gab es Rückkehrer zu den früheren Stamm-Zentralen – platze 2014 auch hierzulande der aggressive App-Konkurrent Uber, welcher, im Gegensatz zu den zerstobenen Träumen der Hamburger, über eine ganz enorme Finanzausstattung verfügte und damit weltweit expandierte. Es war absehbar, dass mytaxi zwischen App-technisch aufholenden Taxizentralen und der – „legal, illegal, scheißegal“ – Uber-Konkurrenz nicht mehr lange würde bestehen könnte, weil die Finanzen für eine solche Zweifronten-Auseinandersetzung keinesfalls reichen würden. Für mich bleibt der Verkauf sämtlicher Anteile aller Investoren sowie der Gründer an den Daimler-Konzern deshalb ein Notverkauf. Die Alternative wäre vermutlich über kurz oder nicht so lange nur der Untergang von mytaxi gewesen.

Daimler wird kaum langfristig an einer reinen Taxivermittlung interessiert sein. Stattdessen bastelt die Daimler-Tochter moovel, die sowohl für Car2Go als auch für mytaxi zuständig ist, an einem „Amazon der Mobilitätsangebote“, also einem quasi-Monopolisten für die Vermittlung von Fahrten jeder Art. mytaxi wird künftig die Aufgabe eines Tür-Öffners haben, mit dessen Hilfe Daimler seine ambitionierten Pläne besser an den Mann und die Frau bringen möchte. Dafür braucht Daimler aber ein gestärktes mytaxi, das an alte PR-Erfolge anknüpft. mytaxi soll einen neuen Glanz verpasst bekommen, und deshalb wirft Daimler mit der neuen, zweiwöchigen Rabattaktion viele, viele Scheine in das mytaxi-Feuer, auf dass es zumindest eine kurze Zeit deutlich höher flackern möge. Erneut werden Bestellkunden herkömmlicher Taxizentralen mit einem 50%igen Tourpreis-Rabatt zu mytaxi gelockt, und erneut wird Uber zumindest für eine kurze Zeit, nicht die Berichterstattung über Tourvermittlungs-Apps dominieren. Dafür werden viele zehntausend Taxitouren in der ersten Mai-Hälfte mit Daimler-Geldern auf 50%-Kosten herunter subventioniert werden, wenn die Tour mittels In-App-„Payment“ bezahlt wird und jeweils nicht teurer als € 149,99 ist. Dass viele Taxizentralen, welche als Genossenschaften oder als Vereine von Taxiunternehmern selbst betrieben werden, solche Rabatt-Aktionen schlicht rechtlich untersagt sind und schon deshalb diese Art des Wettbewerbs schlicht unfair ist, soll hier zumindest erwähnt werden.

Daimler wird die Wärme des neuen PR-Feuers noch etwas länger halten wollen. Wie von Insidern zu hören ist, wird das erst vor einem Jahr desaströs eingeführte Vermittlungsmodell wieder entschärft werden. Nach einer Umfrage unter den mit dem mytaxi-System fahrenden Taxiunternehmern und -fahrern soll das weithin ungeliebte Biet-Vermittlungsmodell begraben werden. Zurückkehren zum alten Modell mit einem festen, einheitlichen Provisionspreis will man dem Vernehmen aber nicht mehr, stattdessen wird ein fester Prozentsatz vom Tourpreis – vermutlich 7% –  kommen. Damit wäre zwar der verhasste Schiebeschalter weg, viele Touren bezüglich der Vermittlungskosten aber weiterhin teurer sein als bei zahlreicher traditioneller Zentralen-Konkurrenz. Eigentlich müsste ein vollautomatisches Vermittlungssystem deutlich preiswerter sein als ein personalintensiver Callcenter einer städtischen Taxizentrale. Aber die nun munter eingesetzten Rabattgelder sollen selbstredend wieder reinkommen. Dafür wird den mytaxi-Fahrern auch weiterhin kräftig in die Tasche gegriffen werden. Zu verschenken hat auch ein milliardenschwerer Konzern wie Daimler nichts. Am Ende holt man es sich – ganz klar – beim Kutscher wieder. Von wem denn sonst?

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