MYTAXI: Fragliche Wirksamkeit der Vertrags-Kündigungen
Bei der in Internetforen, auf der mytaxi-Facebookseite und in Zeitungs-Artikeln veröffentlichte Kritik an mytaxi muss man, gemäß der alten Devise „Wem nützt das“, deutlich unterscheiden. Denn es sind nicht nur enttäuschte mytaxi-Nutzer, die ihrem berechtigten Unmut lauthals Platz verschaffen. Da sind auch eine Reihe jener „Zentralisten“ dabei, die sich mit ihrem kräftigen Pusten in den Shitstorm revanchieren wollen für die Tatsache, dass ihnen mytaxi in den letzten vier Jahren nicht wenige Touren abgenommen hat.
Einige Kritiker schießen dabei weit über das Ziel hinaus. Da werden beispielsweise, aus der Ferne und bar jeder Fakten, über die Privatwagen und das Einkommen der Geschäftsführer absurde Fehlinformationen gestreut. Dabei fuhr einer der beiden Geschäftsführer jahrelang mit einem Motorroller zum mytaxi-Sitz, sein kürzlich angeschaffter Wagen ist ein Gebrauchter. Der andere fährt seinen Wagen auch schon länger, und beim alten Golf eines weiteren Mitgliedes der Führungsmannschaft hat der Autor vor Monaten während einer Taxischicht erst ob einer leeren Batterie vom Taxi überbrücken müssen (kostenpflichtig, anstandslos bezahlt). Neue Luxusautos ginge anders. Aber wenn manche Taxifahrer keine Fakten kennen, heißt das ja nicht, dass sie sich nicht mit – und sei sie noch so an den Haaren herbeigezogen – Vermutungen und Meinung behelfen könnten. Fakten wie die, dass mytaxi für die Firmenzentrale keinen einzigen Firmenwagen besitzt und für den Außendienst in ganz Deutschland gerade eine Handvoll, würden da nur stören.
Aber es gibt auch die berechtigte Kritik von Taxiunternehmern und -fahrern mit mytaxi an Bord. Diese haben in den letzten Jahren für die immer besser werdende Bedienfähigkeit von mytaxi gesorgt. Eine Geschäft auf Gegenseitigkeit: Mytaxi nahm den herkömmlichen Taxizentralen Touren in teils bedeutender Höhe ab, von denen dann andere gute und fleißige Taxifahrer profitieren konnten, die aber außerhalb der etablierten Tourvermittler ihr Geschäft betreiben. Hier in Hamburg beispielsweise kamen erst mit dem wachsenden Erfolg von mytaxi viele Nicht-Zentralen-Kollegen an einen Teil jener Touren heran, welche vorher fast ausschließlich durch die beiden hiesigen Großzentralen vermittelt wurden. Dabei ist insbesondere der ordentliche Batzen an ehemaligen Hansa-Touren zu nennen, die jetzt von Droschkenkutschern weggefahren werden, welche nicht die horrenden fünfstelligen Summen aufbringen können, mit denen man erst einen Zugang zu der Hansa-Genossenschaft bekäme. Andere dieser Taxifahrer-Kollegen wollen sich schlicht nicht dem dortigen Diktat unterwerfen, beispielsweise jener absurden Vorschrift, dass man nicht einmal bei 35 Grad im Schatten eine dreiviertellange Hose tragen dürfe. Dass mytaxi das Ganze dabei als kommerzielles Geschäft betreibt, war allen Beteiligten immer klar. Keiner erwartete hier eine wohltätige Veranstaltung. Die bisher gezeigte Fairness und der moderate Vermittlungspreis waren für die Taxenunternehmer und -fahrer, die mytaxi nutzten, eine völlig akzeptable Geschäftsgrundlage.
Von diesen Taxiunternehmern und -fahrern muss sich mytaxi tatsächlich eine Menge berechtigter Kritik anhören und daraus schnell und umfassend die richtigen Lehren ziehen. Insbesondere die Art und Weise der überraschenden Kündigung sämtlicher zahlender mytaxi-Kunden, um damit neue Bedingungen und Preise bei der Tourvermittlung durchsetzen zu können, hat eine Qualität, die für viele bisherige mytaxi-Freunde schockierend ist. Auch wenn sich viele Beobachter darüber einig sind, dass das Vorgehen weniger „bösartig“ und vielmehr „schwer unbedarft“ motiviert ist: So etwas darf sich nicht noch einmal wiederholen.
Was in den bisherigen Diskussionen, z.B. im DAS-Taxiforum, unterbelichtet bleibt, ist jener Teil der mytaxi-Argumentation, der für eine Veränderung der bisherigen Tourvermittlung sprechen könnte, zumindest diskutabel ist. Diese Argumente von mytaxi setzen (stillschweigend) voraus, dass auf Sicht Mehreinnahmen aus der Tourenmakelei generiert werden soll – die mytaxi-Dementis auf solche Vorhalte empfinden viele Beobachter als eher schwach und unglaubwürdig. Wenn also Mehreinnahmen generiert werden sollen, dann ist das tatsächlich über eine rein nominale Erhöhung der Vermittlungsprovision problematisch. Gerade Kurztouren von beispielsweise 6 oder 7 Euro (brutto) würden richtig teuer werden, würde die Tourvermittlung künftig z.B. pauschal auf € 0,99 statt bisher € 0,79* (netto) angehoben werden. Andererseits würde das ab dem 1. Februar dJ. beabsichtigte Provisionsmodell eine Menge negativer Effekte produzieren, so beispielsweise die bisherige Leitidee „das schnellstmögliche Taxi zum Kunden“ durchlöchern und beschädigen. Ein wichtiger Wettbewerbsvorteil der mytaxi- vermittelten Taxen, nämlich die im statistischen Mittel teils deutlich kürzere und schneller Anfahrt gegenüber den Taxen mit Zentralen-Bereichsvermittlung, würde – jedenfalls in vielen Städten mit guter mytaxi-Bedienfähigkeit – leiden, wenn ein weiter entfernt stehender Wagen die Tour nur deshalb bekäme, weil er höher geboten hätte.
Wie geht es weiter? Das hängt nicht zuletzt davon ab, wie konstruktiv und tatsächlich fair mytaxi mit den sie bezahlenden Taxiunternehmern umgeht. Dass die flächige Kritik Wirkung zeigt, ist seit der gestrigen Ankündigung dokumentiert – nun soll statt der absurden Höchstgrenze von 30% Vermittlungsprovision ein Limit von 15% gelten. Das ist zumindest eine Größenordnung, die – wenn ehrlich gerechnet wird – ähnlich auch bei vielen herkömmlichen Zentralen gelten. Ehrlich rechnen heißt, die während der Nicht-Laufzeiten der Taxen durch Urlaub, Krankheit oder Werkstattaufenthalt weiterlaufenden Zentralen-Gebühren genauso einzurechnen wie die Kosten für bargeldlose Touren, welche bei mytaxi mit dem geplanten Wegfall der bisherigen 2,75% für die Payment-Touren ohne Extraberechnung blieben. Ehrlich rechnen hieße aber auch, von Seiten mytaxis einmal zu erklären, warum sie einen insgesamt höheren Vermittlungspreis haben wollen als einige der herkömmlichen (z.B. Berliner) Taxizentralen, obwohl hier die Tourvermittlung vollautomatisch läuft und dort hohe Personalkosten für die Tourvermittlung aufgebracht werden müssen. Ein 24-Stunden-Callcenter an jedem Tag des Jahres ist ohne Zweifel kostenträchtiger als ein paar surrende, gemietet Vermittlungs-Server in einem Rechenzentrum.
Wichtige Hamburger Mehrwagenunternehmer, die alleine für eine dreistellige Zahl von mytaxi-Fahrern in der Hansestadt stehen, haben in einer gestrigen Sitzung beschlossen, das von mytaxi versuchte Diktat nicht zu akzeptieren. Sie wollen in Gesprächen „auf Augenhöhe“ mit der mytaxi-Geschäftsführung zu einer gemeinsamen Lösung kommen. Für solche Gespräche könnte mehr Zeit zur Verfügung stehen, als es die mytaxi-Geschäftsführer bisher einplanen, denn nun rückt das Verfahren des Massen-Kündigungen in den Blickpunkt. Einerseits könnten mit der Kündigung vom 8. zum 31. Januar 2014 Kündigungsfristen oder handelsrechtliche Vorschriften wie der von den einzuhaltenden „guten Sitten“ verletzt sein. Andererseits ist möglicherweise die Form der Kündigung als eMail – zumal ohne Empfangsbestätigung – rechtlich fragwürdig. Immerhin muss für die Wirksamkeit einer Kündigung diese vom Empfänger auch erhalten werden. Würde nur ein einziger mytaxi-Kunde am 1. Februar gegen seine Nichtteilnahme an der veränderten Vermittlung erfolgreich klagen, z.B. in der Form einer Einstweiligen Verfügung, müsste mytaxi umgehend den alten Stand wieder herstellen. Eine Parallel-Vermittlung von alter- und neuer Provisionsregelung dürfte aus technischen Gründen ausgeschlossen sein. Dann ständen plötzlich jene mytaxi-Kunden, welche die email-Kündigung und die neuen Regelungen akzeptierten, ohne gültige Verträge dar. Ein Desaster drohte – imagemäßig, finanziell und vielleicht sogar technisch.
Ein zwei- oder dreimonatiges Moratorium, in denen die bisherigen Vermittlungs-Regeln und -Preise über den 1. Februar hinaus erst einmal weiter gelten würden, nähme eine ganze Menge des entstandenen Drucks aus der emotional aufgeheizten Angelegenheit. Es gäbe dann genügend Zeit für Gespräche der mytaxi-Geschäftsleitung mit ihren jetzt verprellten Kunden. Auch sollte mytaxi dringend über die Einrichtung eines aus dem Gewerbe stammenden hauptamtlichen Taxifahrer-Obmannes nachdenken, auch ein bei Bedarf tagender Beirat könnte für die Zukunft Verwerfungen wir die derzeitigen künftig verhindern helfen.
Was allerdings derzeit nicht gemacht werden sollte, wäre, die vermutlich entstandenen rechtlichen Mängel bei den eMail-Kündigungen noch schnell heilen zu wollen durch eine erneut überraschende Kündigungswelle, diesmal rechtssicher per Brief oder FAX. Fehler sollte man nicht wiederholen, schon gar nicht schwere.
* Die Hamburger Sonderregelung von € 0,49 pro Tour, wenn mit Werbung gefahren wird, stammt aus den Anfangstagen des nur in Hamburg gemachten Testbetriebs 2010 und ist längerfristig wohl nicht zu verteidigen.
Lesetipps:
– Artikel MYTAXI: Der Pionier der Taxi-Apps am Scheideweg
– Diskussion „myTaxi App – neues „Geschäftsmodell“ ab 1.2.14“ im DAS-Taxiforum (unnötigerweise wegzensierte Beiträge hinzudenken)
– Linkliste mit Artikeln zum neuen Vermittlungs- und Preismodell im DAS-Taxiforum
– Artikel My Taxi – erst Revolution, jetzt Rebellion ? im HH-Taxi.de-Blog von Christian Lüdemann
– Online-Petition „Gegen Fairmittlungsgebühr“ (kann ohne öffentliche Namensnennung „anonym“ unterzeichnet werden)
Erstveröffentlichung: 15. Januar 2014
Text + Foto: Clemens Grün
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