Karenzminute: Ein Experiment ohne den Wunsch nach Erkenntnis

Als im Jahr 2001 die verkehrsbedingte Wartezeit aus dem Hamburger Taxitarif gestrichen wurde, war die Meinung des Gewerbes zweigeteilt: Viele Kollegen empfanden es als ungerecht, dass sie die negativen Folgen des stetig wachsenden Hamburger Verkehrsaufkommens alleine tragen sollten und fürchteten empfindliche Umsatzeinbußen. Der andere Teil sah in einem transparenten, kalkulierbaren Tarif die Chance, neue Kunden zu gewinnen und hoffte auf steigende Auftragszahlen.

 

Womit wohl keine Gruppe gerechnet hatte, war das Ausmaß an Ahnungslosigkeit und Desinteresse, mit dem dieses gewagte Experiment von den Protagonisten aus dem Gewerbe und den Behörden durchgeführt und begleitet wurde. Zwar ist zeitgleich mit der Einführung der sogenannten Karenzminute – zu Beginn sogar drei Karenzminuten – der Kilometerpreis angehoben worden – ob das aber ein halbwegs gerechter Ausgleich für die dann kostenlose verkehrsbedingte Wartezeit war, konnte niemand der Verantwortlichen sagen. Man hatte schlicht keine Erkenntnisse über den Anteil der Wartezeit am Umsatz einer Taxe und beabsichtigte augenscheinlich auch nicht, zukünftig welche zu gewinnen.

 

Die kompensierende Erhöhung der Kilometerpreise wurde offenbar grob geschätzt: Genug um eine Meuterei der Taxifahrer zu vermeiden – aber so gering, dass es keinen Aufschrei der Bevölkerung gab. Weil vor der Einführung der Karenzminute der Tarif über viele Jahre nicht erhöht worden war, muss ein Teil der vorgeblichen Kompensation wohl eher als Inflationsausgleich bezeichnet werden. An einer zu deutlichen Erhöhung der Streckentarife waren allerdings auch weite Teile des Gewerbes nicht interessiert, weil die Auslastung der Fahrzeuge bereits zu gering war und sie deshalb keine Stagnation oder gar einen Einbruch der Auftragszahlen riskieren wollten.

 

Die Befürworter des deutschlandweit einmaligen Experiments blickten hoffnungsvoll den erwarteten flankierenden Kampagnen entgegen, mit denen, wie sie glaubten, die Öffentlichkeit über die Befreiung der Taxikunden von den finanziellen Risiken der rasant steigenden Hamburger Verkehrsdichte informiert werden sollte. Als nach einiger Zeit klar wurde, dass es außer einigen dürren Pressemitteilungen keine Informationsoffensiven geben werde, war die Enttäuschung groß. Die Presse verglich wie gewohnt die Kilometertarife mit denen anderer großer Städte – dem abgespeckten Wartezeittarif wurde keine große Bedeutung beigemessen. Bei diesem Vergleich befand sich das Hamburger Taxengewerbe in der Gruppe der Spitzenverdiener – was jedoch weit an der Realität vorbei ging.

 

Bis heute ist ein Teil der Kunden überrascht, wenn er erfährt, dass – im Gegensatz zu den meisten anderen deutschen Städten und Gemeinden – in Hamburg keine verkehrsbedingten Wartezeiten berechnet werden. Ein anderer Teil hält das seit nunmehr zehn Jahren offerierte Dauerwerbeangebot inzwischen für ein selbstverständliches Kundenrecht. Einen nicht unerheblichen Anteil an dieser Haltung – und somit auch einen ebenso großen Anteil am Scheitern des Experiments – dürfte die zuständige Genehmigungsbehörde haben, die es nämlich genauso sieht und diese Meinung, zum Verdruss des Gewerbes, auch unverblümt öffentlich äußert. Der Kunde habe ja schließlich den Stau nicht verschuldet und könne dafür also auch nicht zur Kasse gebeten werden, sagte beispielsweise die ehedem zuständige Umweltsenatorin in einem Zeitungsinterview . Welches Verschulden den Taxifahrer treffe, verschwieg sie allerdings.

 

Die politisch Verantwortlichen lehnen die Abschaffung der Karenzminute kategorisch ab. Zu übermächtig ist der – von der Handelskammer gebetsmühlenartig vorgetragene – Wunsch der Hamburger Wirtschaft nach preisgünstigen, standardisierten Beförderungsdienstleistungen, als dass man auf die Befindlichkeiten von Kleinstgewerbetreibenden Rücksicht nehmen will. Es wird darauf verwiesen, dass man den Kunden unbedingt transparente Tarife bieten wolle und das ja auch im öffentlichen Personennahverkehr üblich sei. Die Verantwortlichen ließen sich nicht von dem Argument des Taxengewerbes beeindrucken, dass ein Linienverkehr mit präzise kalkulierbaren Kosten und Einnahmen nicht mit dem Taxenverkehr, bei dem eine Beförderungspflicht besteht und der Kunde Ziel und Route nach eigenem Belieben bestimmt, verglichen werden kann.

 

Kein Gewerbetreibender, konstatiert das Taxengewerbe, würde freiwillig Festpreise anbieten, wenn er keinen Einfluss auf die zur Leistungserbringung benötigte Zeit hat. Und genau diesen Einfluss habe der Gesetzgeber durch den Kontrahierungszwang für Taxiunternehmer und das gesetzlich verbriefte Recht des Kunden den Fahrtweg zu bestimmen ausgeschlossen. Deshalb sei es auch fast überall üblich, verkehrsbedingte Wartezeiten im Taxiverkehr zu berechnen.

 

Besonders schmerzlich für die Hamburger Taxifahrer ist es, dass die gefahrenen Touren oft zwar wesentlich preisgünstiger als in anderen Städten sind, mit dieser Tatsache aber nicht geworben werden kann, weil die Auswirkungen der verkehrsbedingten Wartezeiten bisher weitgehend unbekannt waren. Die Genehmigungsbehörde hält es, zum Erstaunen des Gewerbes, nicht für geboten, zur Ermittlung angemessener Tarife diesbezügliche Erkenntnisse zu gewinnen.

 

Vor einer Diskussion über irgendwelche Änderungen an der derzeitigen Praxis solle das Taxengewerbe die Initiative ergreifen und aus eigener Kraft Untersuchungen anstellen, bügelt die Behörde jeden Verhandlungsversuch ab. Um einen Beitrag zu einer sachgerechten Diskussion zu leisten, haben wir deshalb einen Tariftest mit zwei Taxametern vorgenommen und werden die Ergebnisse in einem weiteren Beitrag vorstellen.