HANSA: Harte Strafen im „Schwarze Kassen“-Prozess

Das Gericht blieb zwar jeweils etwas unter den Forderungen der Staasanwaltschaft, aber die Tendenz ist eindeutig: Für 211 (welch Ironie!) Fälle von Scheinrechnungen, ausgestellt auf den Namen von eingeweihten Hansa-Unternehmern, und das Abzweigen der dortigen Netto-Beträge (die Mehrwertsteuer erhielten die Unterschreiber cash) in die „Schwarzen Kassen“, wurden die drei Hauptangeklagten Kruse, Huck und Gieselmann zu Freiheitsstrafen ohne Bewährungen verurteilt. Das Gericht erkannte insbesondere wegen des „langen Zeitraums“, dem „systematischen“ und „vorsätzlichen“ Vorgehen sowie der eingesetzten hohen „kriminellen Enmergie“ auf „Untreue in einem besonders schweren Fall“. Der verhandelte Zeitraum von 2004 bis 2008 umfasste 42 Monate mit im Schnitt ca. € 4.500,- erzeugter Schwarzgelder, das Gericht geht von einer Schadenssumme von ca. € 190.000,- aus. Und das war nur die verhandelbare, weil noch nicht verjährte Spitze des Eisberges. In 18 Verhandlungstagen wurden 50 Zeugen gehört, darunter 10 Genossenschaftsmitglieder, die das Gericht willkürlich ausgesucht hatte, um sich ein unverfälschtes Bild vom Inneren der genossenschaftlichen Taxizentrale zu machen.

 

2008 flogen die „Schwarzen Kassen“ der „Hansa Funktaxi“-Genossenschaft durch eine spektakuläre Razzia der Hamburger Steuerfahndung auf. Ein Vierteljahrhundert war das schmutzige Geheimnis um hausinterne Schwarzarbeit und externe Schmiergelder für Hotel- und Praxenangestellte von sämtlichen Granden der Genossenschaft gewahrt und weiter gegeben worden: Von Kolbeck sen. wurde es in den achtziger Jahren eingeführt, und von seinen Nachfolgern Gieselmann, Huck und Kruse bis 2008 unvermindert fortgeführt. Auch die führenden Aufsichtsräte, bis hin zum heutigen zweiten Hansa-Vorstand Lohse, unterstützten und deckten jahrzehntelang das System der „Schwarzen Kassen“. Prozessbeobachter, die das gerichtliche Geschehen seit dem März 2011 beobachteten, sprachen ob der lang anhaltenden illegalen Praxis, wo scheidende Funktionäre die Nachfolger noch in die Praxis von illegaler Beschäftigung und Korruption einführten, auch schon mal von der Hansa-Genossenschaft als einer „kriminellen Vereinigung“.

Der Prozess hätte gar nicht in dieser Länge und Ausführlichkeit stattfinden müssen. Bei dem ersten März-Termin verhandelten, unter den Augen des Gerichts, die engagierte Staatsanwältin Meesenburg mit den fünf Angeklagten und ihren Anwälten über eine schnelle Beendigung des Prozesses. Hätten die Angeklagten die schon früher gegenüber der Steuerfahndung dargestellten Fakten nur vor diesem Gericht wiederholt, mit einem ausreichenden Maß an Reue, hätten die drei Hauptangeklagten Kruse, Gieselmann und Huck sowie der Taxiunternehmer M. (welcher durch eine Selbstanzeige dieses Verfahren ins Rollen gebracht hatte) und der Tatgehilfe „Charly“ J. schnell mit Bewährungsstrafen wieder nach Hause gehen können. Doch insbesondere die drei Hauptangeklagten bockten, sie stießen sich an dem Tatvorwurf „Untreue zu Lasten der Hansa-Genossenschaft“ und fanden es überhaupt ungerecht, dass sie nun, nach den rechtskräftigen Strafbefehlen wegen Steuerhinterziehung (in unterschiedlichen Höhen bis rauf auf € 21.000,- ) nun eine zweite Strafe erhalten sollten. Sie verweigerten sich dem angebotenen schnellen Prozess-Ende, und so terminierte das Gericht neu und kündigte Verhandlungstage bis zum Ende des Jahres 2011 an.

Der Stein des Anstosses für die drei Hauptangeklagten, jeweils langjährige erste und zweite Vorsitzende von „zwo-elf-zwo-elf“, wie die Zentrale bei vielen Hamburgern nach ihrer leicht merkbaren Telefonnnummer heisst, war das Wörtchen „Untreue“, die ihnen vorgeworfen und für die sie nun in einem Strafprozess verurteilt werden sollten. Doch diesen Vorwurf der „Untreue“ gegenüber ihrer Genossenschaft verstanden die Angeklagten, vorneweg der immer wieder hoch emotional werdende Kruse, überhaupt nicht. Sie hätten von dem Geld der „Schwarzen Kassen“ nichts privat verwendet, sondern alles zum Wohle der langjährig klammen Genossenschaft eingesetzt. Allein: Diese Form der „Untreue“, und das hat die Anklagevertreterin Merseburg mehr als einmal deutlich erläutert, wurde gar nicht angeklagt, war gar nicht gemeint. Es ging alleine um die Einrichtung der „Schwarzen Kassen“, welches alleine schon, nach jüngerer höchstrichterlicher Entscheidung des Bundesgerichtshofs („Siemens-Urteil“), einen Untreue-Tatbestand darstellt. Denn durch die „Schwarzen Kassen“ wird das Etat-Recht der Generalversammlung, das basisdemokratische und zugleich höchste Gremium einer Genossenschaft, verletzt. Über die Gelder der „Schwarzen Kassen“ können nicht mehr alle mitentscheiden, sondern nur noch wenige Eingeweihte. Das versteht die Anklage unter „Untreue“ – um Geld, welches jemand privat in die Tasche steckt, ging es in diesem Prozess überhaupt nicht.

Nach dem gescheiterten März-Termin wurde dann monatelang verhandelt – allerdings nur noch gegen vier der Angeklagte: Der Taxiunternehmer M., der schon zuvor schwer erkrankt war, verstarb in der Nacht vor dem ersten Neutermin – er war der Einzige gewesen, der im März Interesse an einer schnellen Beendigung des Verfahrens bekundet hatte. In den zahlreichen Sitzungen im ganzen letzten Halbjahr wurden zumeist Zeugen gehört: Einfache Genossenschaftsmitglieder und Funktionäre, Hansa-Angestellte aus der Buchhaltung und Mitarbeiter des genossenschaftlichen Prüfungsverbandes, der Rechtsbeistand der Taxizentrale und Mitarbeiter der Steuerfahndung – manche von denen wurden sogar ein zweites Mal geladen, weil noch etwas Neues aufgetaucht war. Und immer wieder wurden Taxiunternehmer vernommen, die von Hansa vorgefertigte Rechnungen ohne erbrachte Gegenleistung unterschrieben hatten und als „Lohn“ für ihre Beihilfe zur Steuerhinterziehung die ausgewiesene Mehrwertsteuer einsteckten – Hansa-Taxiunternehmer, die dafür schon Strafbefehle der Steuerfahndung erhalten und bezahlt hatten.

So richtig gut sah bei dem Prozess fast keiner aus: Die Mitarbeiter des genossenschaftlichen Prüfungsverbandes beschäftigten sich zwar jedes Jahr viele Wochen mit der Prüfung der Buchhaltung sowie dem Verfassen eines (gesetzlich vorgeschriebenen) Prüfungsberichtes –  von den ein Vierteljahrhundert währenden „Schwarzen Kassen“ wollen sie alle aber nichts bemerkt haben. Die Aufsichtsratsmitglieder, deren Hauptaufgabe die Kontrolle der Vorstandsarbeit war, deckten die „Schwarzen Kassen“ in der Vergangenheit – der heutige Vorstand Lohse musste gar für frühere Jahre die aktive Unterstützung der kriminellen Machenschaften einräumen. Die aktuell noch von Strafe bedrohten Aufsichtsräte der letzten Jahre wiederum stritten, so Hofschulte und Bley, entweder die Kenntnisse rundum ab (glaubwürdig?) oder machten wegen der Gefahr einer Selbstbelastung von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch (glaubwürdig!). Die Steuerfahnder wiederum hatten sich in ihrer Arbeit mental verengt auf die Abgabe falscher Steuerklärung und darüber hinaus Anderes übersehen: Die strafbare Verkürzung von Sozialabgaben, die Korruptionsvergehen bei Hotel- und Praxen-Angestellten, die neue höchstrichterliche Rechtssprechung zur Strafbarkeit von „Schwarzen Kassen“. Und geradezu abenteuerlich wurde es immer wieder, wenn – bis in die letzten Verhandlungstage hinein – als Zeugen geladene Taxiunternehmer und -unternehmerinnen immer noch abstritten, dass die an sie ausgezahlten  (Mehrwertsteuer-) Zahlungen ohne Gegenleistungen erfolgt waren – obwohl sie genau dafür schon Strafbefehle erhalten und gezahlt hatten und genau das von den Angeklagten längst und in aller Ausführlichkeit gegenüber der Steuerfahndung eingeräumt worden war. Der Sumpf ist zumindest gedanklich, das wurde deutlich, noch nicht trockengelegt.

 

Insgesamt sieht die Arbeit der Verteidiger, nach Urteilsverkündung, alles andere als zielführend aus. Es begann damit, dass die Anwälte vor der März-Verhandlung ihren Mandanten offensichtlich die angeklagte Variante der „Untreue“ nicht hinreichend gut erklärt hatten. Es ging weiter damit, dass schon Jahre zuvor bei der Steuerfahndung eingeräumte Sachverhalte plötzlich keine Gültigkeit mehr hatten. Stattdessen wurden Befangenheitsanträge gegen das Gericht formuliert,  und im Herbst, nach Monaten der Verhandlung, auch noch die Funktion der „weißen Zettel“, auf denen eingeweihte Taxiunternehmer die Scheinrechnungen unterschrieben hatten, in Frage gestellt. Diese Verteidigungstrategie gipfelte schließlich, bei den Plädoyers am vergangenen Freitag, in der anwaltlichen These, es habe gar keine „Schwarzen Kassen“ bei Hansa gegeben, sondern nur eine „Weiße Zettel-Wirtschaft“.

Die Strategie, nur vor Gericht einzuräumen, was durch Zeugenaussagen oder auch Verlesung früherer Aussagen und Berichte, vor Gericht im Detail bewiesen wurde, ist vorerst nicht aufgegangen. Die Anträge der Staatswaltschaft waren dann auch deutlich: 3 Jahre Haft für Kruse, für Huck 2 Jahre und 6 Monate sowie für Gieselmann 1 Jahr und 8 Monate (seine meisten Taten sind verjährt) wurden beantragt.  Für den Tathelfer „Charly“ J. wurde als einziger eine Bewährungstrafe von einem Jahr gefordert.

Kruse, der darauf hinwies, dass er als damaliger 1. Vorstand schon Monate vor der Razzia in 2008 das System der Scheinrechnungen und Schwarzarbeiten beendet hatte, sprach in seinem Schlusswort von der enormen Belastung, die das langwierige und nicht nur fachöffentlich beachtete Verfahren für ihn bedeutet hätte. Auch führte er, sichtlich bewegt und von dem hohen Strafantrag der Staatsanwältin geschockt, aus, dass die jüngste Kündigung seines letzten Arbeitgebers, dem Hansa-Konkurrenten „Autoruf“, auf den Prozess und seine mediale Begleitung zurück zufühen sei. Um es zu einem für ihn und seine Mitangeklagten erträglichen Ende zu bringen, werden die Beschuldigten für die Berufungsverhandlung (in der die gesamte Beweiserhebung noch einmal neu gemacht werden muss) ihre Verteidigungsstrategie noch einmal überlegen müssen. Mit der Verweigerung eines schnellen Prozessendes haben die Angeklagten zwar der interessierten Öffentlichkeit ungeahnte und detailierte Einblicke in die Struktur und „Denke“ der Hansa-Genossenschaft ermöglicht. Sich selber haben sie damit aber keinen Gefallen getan.

 

Text + Foto: Clemens Grün

Erstveröffentlichung: 20. Dezember 2011

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