HANSA: Die Anwälte werfen den letzten Rettungsanker
Es sollte der Tag des Endes der Beweisaufnahme werden – aber es wurde nur ein zäher und sehr formaler Gerichtstag, der von ständigen Sitzungsunterbrechungen geprägt war. Zuerst musste das Gericht über einen frisch eingebrachten Beweisantrag des Huck-Anwaltes RA Oehler befinden (Sitzungspause, Ablehnung), dann die Verteidiger mit den Angeklagten beraten (Sitzungspause), anschließend die Rechtsanwälte den Wortlaut des (zu dem Zeitpunkt erst handschriftlich vorliegenden) Ablehnungsbeschlusses studieren (Sitzungspause), um anschließend einen Antrag zu formulieren (Sitzungspause), mit dem die Verteidiger der „Haupttäter“ (Staatsanwältin) Kruse, Huck und Gieselmann (ohne den lediglich der Beihilfe angeklagten „Charly“) einen Befangenheitsantrag gegen das Gericht stellten. Der eine Berufsrichter und die beiden Schöffen zogen sich zur Beratung zurück (Sitzungspause) und verkündeten anschließend, dass sie nicht selbst über den Befangenheitsantrag entscheiden würden, sondern diese Entscheidung einem Richterkollegen überliessen.
Kern der anwaltlichen Aufregung ist die Meinung des Gerichts, dass „die Kenntnis des Aufsichtsrates über die „Schwarzen Kassen“ für die strafrechtliche Beurteilung dieser Angeklagten“ nicht von Bedeutung sei. Alleine die Tatsache, dass die ehemaligen Vorständler dem für die Finanzen „vorgesehenen Willenbildungsorgan, nämlich der Generalversammlung“ die Entscheidung über Teile des genossenschaftlichen Vermögens entzogen hätten, wäre alleine strafrelevant, so die Staatsanwältin. Und zwar jeweils für Vorstand und Aufsichtsrat. Sprich: Auch mit Zustimmung von Teilen des AR oder zur Gänze, ob mit Wissen des jeweiligen AR-Vorsitzenden oder nicht, sei das Verhalten der angeklagten ehemaligen Vorständler für sich schon strafbar. An der Stelle erlaubte sich die Staatsanwältin den „rechtlichen Hinweis“, dass bei dem „Vermögensverlust in großem Ausmaße“ auch eine schärfere Verurteilung in Betracht käme. Dass das Gericht dieses auch so sehen könnte, zeichnete sich schon an den letzten Verhandlungstagen ab. Am heutigen schärfte das Gericht noch einmal seine Position, als der Vorsitzende Richter den „rechtlichen Hinweis“ der Staatsanwältin aufgriff und erstmal auch eine Verteilung wegen „Untreue in einem schweren Fall“ als möglich darstellte. Die Anwälte warfen ihren letzten Rettungsanker „Besorgnis der Befangenheit“ – zu stark sind ihre Befürchtungen, dass die Angeklagten bei diesem Gericht keine milden Urteile mehr erwarten dürfen.
Der Vorsitzende Richter verkündete am Ende der Verhandlung, man werde sich dann am 11. Oktober wiedersehen – oder eben auch nicht. Im unwahrscheinlichen Fall, dass der jetzt zuständige Richterkollege einen berechtigten Zweifel an der Objektivität des Gerichts bejahte, würde die gesamte Prozedur noch einmal, dann mit neuen Richtern, wiederholt werden: Anklage, Zeugenaussagen, Verlesungen, Anträge – der ganze Prozess eben. Andernfalls könnten am 11. Oktober die Plädoyers der Staatsanwaltschaft sowie der Verteidiger gehalten werden. Spätestens drei Wochen danach, also im Oktober oder November, käme es dann zur Urteilsverkündung.
Im Falle der Verurteilung könnten mit Berufungs- und Revisions-Instanzen bis zur Rechtskräftigkeit des Urteils noch drei bis vier Jahre ins Land gehen – nur bei diesem Prozess. Bei den durch die eingeleiteten Ermittlungsverfahren gegen zahlreiche ehemalige und aktuelle Aufsichtsräte möglichen weiteren Prozessen gäbe es das Ganze dann noch einmal. Und die Zivilklagen der Genossenschaft – im Falle einer Verurteilung der jetzigen Angeklagten – gegen ihre ehemaligen Vorstände kämen auch noch hinzu. Unterließen die jetzigen Vorstände solche zivilrechtlichen Klagen gegen ihre Vorgänger, drohten weitere Strafverfahren – gegen die jetzigen Vorstände wegen „Untreue zu Lasten der Genossenschaft“.
Hätten die Angeklagten beim allerersten Verhandlungstag ihre Aussagen, die sie in den Steuerverfahren schon gemacht hatten, einfach wiederholt, wäre nach dem ersten Verhandlungstag schon Schluß gewesen – mit vermutlich milden Urteilen. Verfahren gegen Aufsichtsräte? Wohl kaum. Größere öffentliche Aufmerksamkeit? Auch nicht. Ob es Beratungsfehler der Verteidiger waren oder bockige Angeklagte – das Verfahren hat jedenfalls für alle Beteiligten den schlechtmöglichsten Verlauf genommen. Ein teurer Preis für verletzte Ehrgefühle.
Der nächste Gerichtstermin: Di. 11.10.2011 um 12:00 Uhr (vorbehaltlich richterlicher Entscheidung, s.o.) im „Haus der Gerichte“, Lübeckertordamm 4, im Saal 1/01 .
Text + Foto: Clemens Grün
Erstveröffentlichung: 20. September 2011
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