FISKALTAXAMETER: Datenauswertung belegt deutliche Unterfinanzierung des Taxigewerbes
In Hamburg war es Jahrzehnte so wie in den meisten Städten und Landkreisen in Taxi-Deutschland: Die Behörden kamen ihren gesetzlichen Verpflichtungen zur Aufsicht und Kontrolle des Taxigewerbes nicht nach und prüften, trotz klarer gesetzlicher Vorschriften über das Zustandekommen eines korrekten Taxitarifs, den vorhandenen oft jahrelang nicht auf Angemessenheit. Und im Taxigewerbe waren Steuer- und Abgabenehrlichkeit rare Ausnahmen, manch großer Taxiunternehmer mit einer größeren Anzahl von Taxis wurde auf unkoschere Art und Weise über Jahre und Jahrzehnte zum Millionär. So mancher Taxiunternehmer, der zu rechtschaffenem Wirtschaften willens war, ging bei diesem Mix aus behördlicher Arbeitsverweigerung und skrupeloser Geldmacherei schlicht unter. Der Ehrliche ist im Deutschen Taxigewerbe meist der Dumme.
Mit diesen Zuständen sollte in Hamburg Schluss gemacht werden. Vor Jahren fanden, durch das Engagement einiger engagierter Gewerbevertreter, Vertreter aus Politik, Verwaltung und Taxigewerbe zusammen. In dem bundesweit beachteten „Hamburger Modell“ gaben sich die Beteiligten ein gegenseitiges Versprechen, um das Taxigewerbe gemeinsam aus dem entstandenen Sumpf zu ziehen:
– Die staatliche Taxenstelle bei der zuständigen Behörde wurde personell neu aufgestellt. Mit „Plausibilitätskontrollen“ bei den alle fünf Jahre zu verlängernden Konzessionsverlängerungen wurde die Steuer- und Abgabenehrlichkeit der Taxiunternehmer geprüft. Mittels einer Kontrollgruppe vonn 100 Taxis, deren Fahr-, Tour- und Einnahmedaten regelmäßig durch das Sachverständigenbüro „Linne + Krause“ maßen und die Ergebnisse in jährlichen Auswertungen für die Behörde veröffentlichten, wurden die für die Konzessionsprüfungen notwendigen Vergleichsdaten geschaffen. Auf diesen Daten basierten Wirtschaftlichkeitsberechnungen, die in die seit 2004 jährlich neu errechneten und angepassten Taxitarife mündeten. Erstmal wurden damit ehrlich arbeitenden Taxiunternehmer, mit den Jahren immer stärker, vor den unehrlichen Taxibetreibern geschützt, die mit Vermiet- und anderen illegalen Geschäftsmodellen bis dahin die Oberhand hatten.
– Die Mehrheit der Gewerbevertreter unterstützten den zunehmend strikten Kurs der Aufsichtsbehörde, z.B. mit dem Stellen der aus 100 Taxis bestehenden Kontrollgruppe. Sio war es möglich, binnen 10 Jahren die Anzahl der Taxis von eint 4.200 um 1.000 zu senken auf die heutige gesundere Menge von 3.200 . Wichtige Gewerbevertreter forderten gar von der Politik die Einführung eines fälschungssicheren Fahrpreiszählers, das sog. „Fiskaltaxameter. Alle Fraktionen in der Hamburger Bürgerschaft, von CDU bis Links-Partei, unterstützten einen Antrag des Senats aus 2010, den freiwilligen Einbau von Fiskaltaxametern schon Jahre vor der rechtlichen Verpflichtung, welche erst Ende 2016 einsetzt, mit insgesamt 5 Millionen Euro zu unterstützten. Mittlerweile fahren 2/3 der Hamburger Taxis mit einem solchen fälschungssicheren Taxameter. Nicht zuletzt erhoffen sich die Verbände des Taxigewerbes dem Landesparlament der Hansestadt, objektive Zahlen über den Zustand des Taxigewerbes, auf deren Basis die Gesundung weiter vorangebracht werden könnte.
Diese erhofften objektiven Messdaten liefert nun eine Untersuchung des „Statistischen Amtes für Hamburg und Schleswig-Holstein“ (Statistik Nord), welche für die Untersuchung „Die wirtschaftliche Lage des Hamburger Taxengewerbes 2014“ die Daten aus 1779 Fiskaltaxametern Hamburger Taxis zur Verfügung. Bedingung für die Berücksichtigung der Daten war, dass ein Fiskaltaxameter mindestens drei Monate eingebaut sein musste (bei 404 Fahrzeugen waren sie schon das ganze Jahr 2014 im Einsatz gewesen). Insgesamt 7,1 Millionnen Tour-Daten standen den Statistikern zu Verfügung.
Das Ergebnis stützt die jahrelangen düsteren Darstellungen aus dem Taxigewerbe, wie sie beispielsweise in den Anträgen der „Arbeitsgemeinschaft Taxenverbände Hamburg“ für Tarifanpassungen zu finden sind. Und die Daten strafen die ebenfalls jahrelangen allzu optimistischen Darstellungen der Wirtschafts- und Verkehrsbehörde Lügen.
Es mangelt an einer neutralen und ergebnisoffenen Musterkalkulation. Die von der BWVI vorgelegte „Kostensteigerungstabelle“ strotzt von Fehlern und hinterlässt den Eindruck, dass hier massiv schöngerechnet wurde.
– Es fehlt eine behördliche Annahme, mit wievielen Wagen eine ausreichende Bedienfähigkeit im Sinne der Daseinsvorsorge erzielbar sind, und zwar gestaffelt nach Tagen und Uhrzeiten.
– Es wird gefordert, dass die Auswertung von Statistikamt Nord noch um wichtige Angaben ergänzt wird:
– Umsatz pro Stunde pro Taxi
– Korrelation Laufleistung und Umsatz/Stunde
– „Die wichtigsten Durchschnittsergebnisse auf einen Blick“ (S. 7) getrennt nach „Unternehmen mit
Arbeitnehmer“ und „Unternehmen ohne Arbeitnehmer“
– Verteilungswolken zum leichten Erkennen von Mustern
– Akzeptanz von 2014-Erhöhung nur nach Versprechen gemäß Scholz-Linie, dass in 2015 Nachschlag für Mindestlohn kommt, wenn Erhöhung nicht ausreicht.
– Die Mindestlohn-Berechnung von Hr. Werner, zuletzt bekräftigt mit eMail vom 31.7.2015, war, ist und bleibt grob falsch. Der gemittelte Stundenumsatz-Unterwert für eine korrekte Zahlung von gesetzlichem Mindestlohn und gesetzlichem Nachtzuschlag (hier angenommenen 25% Schichtstunden mit gesetzlichem Nachtzuschlag) beträgt € 22,69 und liegt weit entfernt von den Wernerschen € 18,88 (Wernersche Annahme fast 17% unter dem korrekten Wert von € 22,60).
– Korrekte Berechnung:
– 45% von € 8,50 [Rechenweg: € 8,50/0,45= € 18,89]
– Der Mindestlohn muss in 46 Arbeitswochen erwirtschaftet werden, da 4 Wochen LFZ Urlaub und 2 Wochen LFZ Krankheit [Rechenweg: 18,89/46*52 = € 21,35)]
– Für Nachtschichten ist zumeist der gesetzliche Nachtzuschlag zu zahlen ist, der gängig und auch von BWVI akzeptiert bei 25% liegt. [Rechenweg für Stunden mit Nachtzuschlag: 21,35*1,25= € 26,69]. Beachtet werden muss, dass hier noch erhöhte Lohnnebenkosten hinzukommen.
– Lt. Auswertung von Statistik Nord beginnen 29,9 % der Touren in der nachtzuschlags relevanten Zeit von 23-6 Uhr (S. 58). Bei der Annahme von 25% Touren mit Nachtzuschlags zahlung ergibt sich für die Wagen mit angestellten Taxifahrern als Mittelwert: ((3×21,35)+(1×26,69))/4= € 22,69
– € 22,69 ist ein auf das ganze Jahr gemittelter Umsatz pro Stunde. Bei Betrieben mit einem höheren Anteil von Lohnstunden mit Nachtzuschlag oberhalb von 25% ist der finanzielle Bedarf zur Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns höher.
– Unterwert meint hier: Im Jahresdurchschnitt darf der Umsatz nicht unter diese Grenze rutschen, soll bei kalkulatorischen 45% der Mindestlohn korrekt gezahlt werden. Andere Faktoren wie die gesetzlich zugesicherte Verzinsung des Anlagekapitals erhöhen diese Untergrenze weiter.
– Nur in 22,1% der Schichten werden mindestens € 23,01 Nettoumsatz pro Stunde erzielt (S. 38). Andersherum: In mehr als 3/4 der Schichten werden die für die Zahlung von Mindestlohn und Nachtzuschlag notwendigen € 22,69 nicht erzielt. Von den MWUs erzielen mehr als Dreiviertel keinen Durchschnitt von € 22,64 und die Hälfte nicht einmal einen Durchschnitt von € 18,16 (S. 39) . Benötigt würde hier aber mind. 22,69 . Das bedeutet: Mehr als Dreiviertel aller MWU mit ihren hohen Anteilen an angestellten Fahrern können nicht den gesetzlichen Mindestlohn und den gesetzlichen Nachtzuschlag erwirtschaften.
– Beachtet werden muss weiter: € 8,50/Stunde ist der vom Gesetzgeber vorgeschriebene Unterwert. Für meine realistische Betrachtungsweise ist für die Kalkulation von einem signifikant höheren Mittelwert auszugehen. Dabei ist zu beachten, dass der sog. Niedriglohnbereich bis mind. € 12,- geht, da bis zu dieser Grenze bei einer normal langen Lebensarbeitszeit eine Rente nicht höher als Hartz4/Sozialhilfe zu erreichen ist. Auch ist zu beachten, dass angelernte Reinigungskräfte nach einem Beschluss der Bundesregierung ab dem Januar 2015 in Hamburg in der untersten Lohngruppe 1 einen Mindeststundenlohn von € 9,55 zu bekommen haben. Der Beruf des Taxifahrers ist durch die notwendigen Prüfungen in fachlicher und medizinischer Sicht, dem unmittelbaren Kundenkontakt und der korrekten Ausführung von Zahlungsvorgängen sowie der vielfach alleinverantworlichen Berufsausübung gewiss höher einzustufen als eine angelernte Büro-Reinigungskraft. Auch zu bedenken ist, dass anderswo übliche Regelungen wie Nachtzuschläge vor 23:00 Uhr, Wochen- und Feiertagszuschläge sowie ein Weihnachtsgeld im Taxigewerbe unüblich sind.
– Zum 1. Oktober 2014 trat durch eine Verordnung des damaligen SPD-Senats eine Tarifanpassung in Höhe von 7,8% in Kraft. Der zuständige Senator Horch begründete diese Erhöhung in einer Pressemitteilung am 16. September 2014 damit, „dass künftig auch im Taxigewerbe ein Mindestlohn von 8,50 Euro brutto pro Stunde gezahlt wird“. Tatsächlich arbeitete aber das Hamburger Taxigewerbe, ausweislich einer von der BWVI am 1.7.2014 verschickten Tabelle, in weiten Teilen defizitär. Ob die letztjährige Tarifanpassung überhaupt dazu geführt hat, dass danach weite Teile des hiesigen Taxigewerbes wenigstens kostendeckend arbeiten konnte, hat die Behörde weder untersucht noch behauptet – es scheint sie schlicht nicht zu interessieren. Fakt ist aber, dass mit dem gesetzlichen Mindestlohn ab dem 1.1.2015 danach ein kräftiger Kostenschub das Taxigewerbe ereilt hat. Umso bemerkenswerter ist es, wenn die Behörde in einer neuerlichen, am 17.7.2015 versandten „Kostensteigerungstabelle 2015“, in welcher der Kostenanstieg vom Vorjahr auf dieses Jahr dargestellt wird, die Kostensteigerung durch die zwischenzeitliche Einführung des gesetzlichen Mindestlohns nicht einmal thematisiert, geschweige denn beziffert wird.
Quelle: Statistikamt Nord: „Die wirtschaftliche Lage des Hamburger Taxengewerbes 2014“ (PDF)
Erstveröffentlichung: 5. August 2015
Text: Clemens Grün
Foto: Boy-Ove Dau