FAKTENCHECK: Fehler über Fehler im Anti-Taxi-Artikel der „Welt“

In der letzten „Welt am Sonntag“ durfte der freie Journalist Stefan Weißenborn ein Hohelied auf die Deregulierung des Taximarktes singen. „Neue Chauffeur-Dienste wie Uber“ dürften sich trotz aktueller „rechtlicher Hürden“ letztendlich „durchsetzen„. Beim genaueren Hinsehen fällt der Artikel aber durch – ein Faktencheck.

 

Die „Welt“, jahrzehntelang stets den Primat des Ökonomischen betonend und dabei selbst jahrzehntelang hoch defizitär, entwickelt sich zum Kampfblatt gegen die Taxi-Branche. Als der ADAC das Ergebnis seines jüngsten „Taxi-Test 2014“ so beschrieb: „Rund ein Viertel aller Fahrten (35) wurde mit „sehr gut“ bewertet, bei mehr als der Hälfte (87) vergaben die Tester die Note „gut“ (…)“, titelte die „Welt“-Redaktion entstellend „Wo Deutschlands Taxifahrer versagen“ . Nun folgte in der Sonntags-Ausgabe der Springer-Zeitung ein Hohelied auf die Deregulierung des Taximarktes. Geschrieben hat es der langjährige freie Reisejournalist Stefan Weißenborn, der bisher mit Knallern wie „Toronto per Pedale“ und „Badekur: Ein großes, befriedetes Planschbecken“ nicht auf sich aufmerksam machte. Nun gelten Reisejournalisten als ziemlich käufliches Völkchen, welches zumeist freundlich bis anpreisend über das schreibt, was es zuvor auf kostenfreien Pressereisen zu sehen bekam. Übertroffen wird die Schmierigkeit der meisten Reisejournalisten nur noch von den Autojournalisten, die fast durchgehend als korrupter medialer Arm der Automobilindustrie gelten. Konsequenterweise schreibt nun Weißenborn die „Motor“-Seiten der Welt voll, mit neuen Scoops wie „Wenn die Bässe oben und unten wummern“ und „Nach dem Segway kommt jetzt das Elektroeinrad„.

 

Jetzt versuchte sich der Autor unter dem geschmackvollen Titel „Tod eines Taxifahrers“ (in der Online-Ausgabe von einer vermutlich sprachsichereren Redaktionskraft korrigiert zu „Warum das klassische Taxi bald ausstirbt„) an einem den hoch „Fahrdiensten“ wie Uber und Blacklane gefälligen Artikel. Leider sind seine Fachkenntnisse in Sachen Mobilität und Verkehrspolitik nicht sonderlich entwickelt, und so reiht sich Fehler an Fehler und Fehlgriff an Fehlgriff in seiner Tirade gegen das Taxigewerbe:

Eine Limousine fährt vor, schwarz, glänzend. Der Chauffeur steigt aus, ein gepflegter Mann in dunkelgrauem Anzug, grau meliertes Haar. (…)

Das den Artikel illustrierende Foto zeigt etwas anderes: Der Chauffeur, ein dunkelhaariger Mann, trägt einen lässigen bis ungepflegten Bart und ist in eine knittrige Fahrer-Uniform eingezwängt. Wenn schon der Artikel-Einstieg so unstimmig ist, wie wird dann der Rest?

 

Er vertreibt sich das Warten mit einer Zigarette. Ein Blick auf die Uhr. Dann eilt sein Kunde zum Wagen, das Handy in der Hosentasche, das abdimmende Display zeigt noch die SMS, die ihn kurz vorher erreichte: „Your chauffeur Detlef Hartmann has arrived.“ In der Mittelarmlehne im Fond stehen Wasser und Limonade kostenlos bereit. Die Sitze sind mit Leder bezogen, elektrisch verstellbar, es gibt reichlich Platz. Und keinen Taxameter.

Vermutlich weiß Stefan Weißenborn überhaupt nicht, was ein Wegstreckenzähler ist, und er wäre wohl auch nicht in der Lage, diesen von einem Taxameter zu unterscheiden (vergleiche z.B. vom führenden Hersteller HALE Taxameter 06 und Wegstreckenzähler 06). Und ob man ihm überhaupt zutrauen kann, den Begriff „Mietwagen“ im Personenbeförderungsrecht richtig einzuordnen (nein, damit sind in PBefG und BO Kraft nicht Selbstfahrer-Leihautos gemeint), bleibt vorerst ungeklärt. Aber Schreiberling Weißenborn hat eine Meinung, was braucht es da noch korrekte Fakten und stimmige Einordnungen?

Eine normale Taxifahrt ist das nicht, komfortabler ist sie, aber nicht unbedingt teurer. Der Kunde ist unterwegs in einer nur zehn Tage alten Mercedes S-Klasse, die er über den Chauffeurdienst Blacklane Limousines per Smartphone-App gebucht hat. Blacklane selbst unterhält keine Limousinenflotte, sondern versteht sich als Buchungsplattform, als Fahrdienstleister, als bequemere Taxialternative.

Bei den Grundrechenarten muss Weißenborn gefehlt haben, denn selbstverständlich ist eine Fahrt mit einem 10 Tage alten Mercedes S-Klasse ganz unbedingt deutlich teurer als eine solche mit einer drei Jahre alten Mercedes E-Klasse oder einem VW-Touran. Wenn der Fahrgast diese teuren Kosten derzeit nicht übernehmen muss, sondern nur einen günstigen „Einführungspreis“ in Rechnung gestellt bekommtt, dann ändert es nichts an den deutlich höheren Kosten für die Fahrt mit einer neuen S-Klasse. Drogendealer machen es genauso: Erst wird der Neukunde angefixt, dann wird abkassiert. Derzeit werden von neuen Taxi-Konkurrenten wie Blacklane, myDriver oder Uber zumeist keine kostendeckenden Preise verlangt – solche Firmen versuchen sich mit Preisen in der Nähe der Beförderungsentgelte von Taxis Marktanteile zu kaufen, die Differenz zahlen die Investoren mit ihren Einlagen.

 

Haben die Taxi-Konkurrenten erst einmal eine Marktmacht erlangt, explodieren die Preise. Bei Uber heisst das dann „Surge Pricing“ und meint das gnadenlose Abkassieren in Zeiten starker Nachfrage. Bei der Ehefrau des US-Fernsehkomiker Jerry Seinfield führte das Uber“sche Preismodell im Dezember 2013 dazu, dass sie für eine Uber-Fahrt in New York den stolzen Preis von $ 415,- In rechnung gestellt bekam. Die Dame hatte das Pech, die Fahrt zu Zeiten erhöhter Nachfrage ob eines Schneesturms geordert zu haben. Hohe Fahrtpreise sind ganz im Sinne einer „Buchungsplattform„, die prozentual mitkassiert – je mehr der fahrgast abdrücken muss, desto höher die Einnahmen von Uber & Co. Solche Fakten und Zusammenhänge muss der Autor Weißemborn aber nicht kennen, weil sie in keiner Pressemappe einer modernen „Taxialternative“ enthalten war.

 

Es sind Dienstleister wie Blacklane oder Uber, die die Taxibranche mit ihren Wohlfühl-Paketen in Aufruhr versetzen. Weil sie besser und günstiger sind und somit den klassischen Taxifahrer mit speckiger Jeans, Lederweste und der Zeitung auf dem Armaturenbrett existenziell bedrohen. Das Establishment wittert Gefahr.

 

 

Im Juni protestierten deshalb Taxifahrer zu Zehntausenden in europäischen Großstädten gegen die neuen Fahrdienste, weil sie diese wegen fehlender Genehmigungen für illegal halten. Für die internetgestützten Mobilitätsanbieter jedoch hatten die Aktionen einen unerwarteten PR-Effekt: Neue Kunden registrierten sich zuhauf.

Blacklane begann 2011 als Resteverwerter. Freie Kapazitäten klassischer Limousinenservices werden gebündelt und per App oder Website an Kunden vermittelt. Für die Fahrten gibt es einen Festpreis, in der Regel günstiger als beim klassischen Limousinenservice und über hinterlegte Kreditkartendaten abzurechnen. Umleitungen und Staus führen anders als im Taxi zu keinen höheren Gebühren.

Chauffiert wird in Premium-Limousinen wie der S-Klasse, dem BMW 7er und VW Phaeton, aber auch Vans oder Mittelklassefahrzeuge stehen bereit. In Berlin baut das Unternehmen derzeit außerdem eine Flotte mit dem Smart auf, dann liegen die ansonsten im Durchschnitt etwas höheren Preise teilweise sogar unter dem Taxikurs.

Ein zündender Ansatz, denn mittlerweile ist Blacklane in über 140 Städten in rund 50 Ländern vertreten. Jüngst beteiligte sich Daimler mit einem zweistelligen Millionenbetrag.

Im Jahr 2012 kam MyDriver hinzu, ebenfalls in Berlin gegründet. Das Tochterunternehmen des Autovermieters Sixt verfolgt erfolgreich ein ähnliches Konzept: „Service- und Qualitätsvorteile eines klassischen Chauffeurdienstes mit der Preisattraktivität einer Taxifahrt.“ MyDriver wuchs in der ersten Jahreshälfte 2014 auf dem Heimatmarkt um über 80 Prozent. Dritter schlagkräftiger Herausforder ist Uber aus den USA, an dem Google beteiligt ist. Sie bieten im Shared-Mobility-Zeitalter all das, was bei den Fahrern der elfenbeinfarbenen Mietdroschken fehlt: exzellenten Service und belebenden Wettbewerb.

„Die Taxibranche wird daniedergehen“, prognostiziert Chauffeur Hartmann. 13 Jahre lang war er selbst Taxifahrer, wechselte vor gut drei Monaten die Fronten, fährt seitdem für Blacklane, Uber und MyDriver.

Er ist der Gegenentwurf zum nörgelnden und griesgrämigen Berliner Taxler. Begrüßt seine Fahrgäste mit Handschlag, öffnet ihnen die Fondtür und liest ihnen während der Fahrt Wünsche von den Lippen ab. Ob man die eigene Musik hören wolle? Er schlägt vor, das Smartphone mit der Soundanlage im Auto zu koppeln. „Bluetooth ist die beliebteste Funktion.“ Bei Zwischenstopps dient er sich als Bote für Erledigungen und kleine Einkäufe an.

Im Taxi war Hartmann der Fahralltag zu roh geworden, der Konkurrenzkampf untereinander um die nächste Fuhre. Mit rempelnden Kollegen hat der Chauffeur nun nicht mehr zu kämpfen. Wer bei den neuen Fahrdiensten mitfahren will, muss vorab buchen und mindestens eine halbe Stunde Wartezeit einplanen. Für Spontanfahrten eignet sich das Angebot eher nicht.

Anders wäre es auch nicht erlaubt. Denn das Heranwinken vom Straßenrand ist laut Personenbeförderungsgesetz nur bei Taxis gestattet. Bei anderen Anbietern müssen die Aufträge von der Zentrale kommen. Bei den Fahrern ploppen sie in einer speziellen Chauffeur-App auf, erst dann reagieren sie auf den Kundenwunsch. Dass dagegen Fahrer der angestammten Mietdroschken ihre Gäste einfach aufsammeln können, ist vielleicht der letzte Vorteil des Taxigewerbes im Kampf um die Kundschaft.

Spontane Verfügbarkeit wird jedoch nicht reichen, um die Bastion zu verteidigen. „Die Mobilitätsbedürfnisse haben sich geändert, dem muss das Taxi nachkommen, sonst stirbt es aus“, sagt Jens Wieseke, stellvertretender Vorsitzender beim Berliner Fahrgastverband Igeb.

Er sieht das größte Manko der Branche in starren Strukturen: „Die Zeiten, in denen es genügte, dass das Taxi behäbig am Bahnhof wartet, die sind vorbei.“ Vielmehr müsste das Gewerbe mit flexiblen Angeboten reagieren, mit denen sich ÖPNV und Taxifahrten besser verknüpfen lassen. „Warum gibt es dafür keine App? Oder warum wurde noch keine App erfunden, die mir ausrechnet, wann das Taxifahren mit mehreren Personen billiger ist als Bus oder U-Bahn?“

Zudem treten die neuen Mobilitätsdienstleister aggressiv auf. So vermittelt Uber nicht nur professionelle Limousinen-Fahrten, sondern bietet über Uber Pop auch Touren an, die Privatleute in ihrem Privat-Pkw machen. „Das ist illegal“, meckert Thomas Grätz, Geschäftsführer beim Deutschen Taxi- und Mietwagenverband. Sobald mit der Personenbeförderung Geld gemacht werde, handele es sich um gewerbliche Fahrten, die einer Genehmigung bedürften. „Die aber liegt nicht vor.“ Und Hartmann sagt: „Wenn die ihr Geschäftsmodell nicht ändern, fliegen sie vom Markt.“

In Hamburg und Berlin, wo Uber neben Frankfurt, Düsseldorf und München aktiv ist, sehen das die Behörden ähnlich. In Deutschlands beiden größten Städten wurden schon mehrfach Verbote für den Fahrdienst ausgesprochen. In Berlin untersagte der Senat Uber den Dienst mit Verweis auf die mangelnde Sicherheit. Weder seien die Fahrer überprüft noch die Fahrzeuge konzessioniert.

Aus ähnlichen Gründen wurde der kleine Mitbewerber WunderCar, der Privatfahrer mit Privat-Pkw vermittelt, in Hamburg ausgebremst. Taxifahrer dagegen verfügen über einen Personenbeförderungsschein und müssen alle fünf Jahre zum Gesundheitscheck und die Fahrzeuge anders als Privat-Pkw jedes Jahr zur Hauptuntersuchung.

Uber gibt sich nicht geschlagen. „Einige Regulierungsbehörden haben noch Nachholbedarf, was den Markteintritt von Uber Pop betrifft“, sagt Uber-Sprecher Fabien Nestmann selbstbewusst. Man wolle gemeinsam mit Taxiunternehmen und Politikern nach einem Kompromiss suchen.

Solange das Verwaltungsgericht kein endgültiges Urteil gesprochen habe, laufe der Betrieb weiter. Nach Ansicht von Fahrgast-Interessenvertreter Wieseke sollte das Taxigewerbe solche Angebote annehmen. „Es sollte nicht mit der Forderung nach Verboten reagieren, sondern sich fragen: Wie fange ich Kunden ein, die mal ein Auto benötigen?“

Wie auch immer der Zoff ausgeht, das sogenannte Ridesharing wird boomen. Die Beratungsfirma Roland Berger prognostiziert dem Markt für organisiertes Mitfahren und Taxidienste bis 2020 ein jährliches Wachstum um 35 Prozent. Damit werde ein weltweites Marktvolumen von rund 5,2 Milliarden Euro erreicht. Oder wie Chauffeur Detlef Hartmann es sagt: „Limousinenfahrten werden für alle Gesellschaftsgruppen verfügbar.“