ADAC-TAXITEST: Nicht nur Defizite, auch die Ursachen benennen
Hamburg landet beim diesjährigen ADAC-Taxitest im Mittelfeld europäischer Großstädte und erreicht im deutschen Vergleich nur den unrühmlichen letzten Platz hinter München, Köln und Berlin. Während Fahrzeugzustand und Routentreue in der Regel in Ordnung waren, schwächelten vor allem die Taxilenker im Detail. Ob das Ergebnis nun gleich als „Taxi-Alptraum Hamburg?“ betitelt werden muss, so wie es Redakteur Erik Trümpler in der "Hamburger Morgenpost" vom 7.10.2011 fragt, darf bezweifelt werden. Beginnen wir also Ursachenforschung zu betreiben und die Frage zu stellen, warum in Hamburg das Taxengewerbe Defizite aufweist.
Zunächst einmal gibt es gewichtige Kritik an der Methodik: Bei mehr als 17 Millionen Taxi-Fahrten pro Jahr in Hamburg sind 10 Testfahrten deutlich zu gering, um überhaupt eine veröffentlichungswerte und bewertungssichere Aussage treffen zu können – schon gar nicht für ein aussagekräftiges Städte-Ranking. Da könnte man auch gleich eine Kristallkugel einsetzen oder Kaffeesatz lesen.
Die im Test beschriebenen und kritisierten Sachverhalte korrespondieren recht gut mit dem, was auch Teile der Hamburger Taxiunternehmer und Taxifahrer seit Jahr und Tag bemängeln. Die Taxen-Aufsichtsbehörde – seit Sommer 2011 die "Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation" (BWVI) – versäumt es konsequent, vernünftige Entscheidungen zu treffen, die der wirtschaftlichen Situation von Taxifahrern und -Unternehmern helfen und somit auch unterschiedlichen Kundenwünschen gerecht werden könnten.
Die Einnahme und Verdienstsituation in Hamburg ist schlicht und ergreifend eine Katastrophe. Laut dem Taxi-Gutachten der Firma Linne&Krause beträgt die Auslastung einer Taxi lediglich 25% der Schichtzeit, der Stundenumsatz bewegt sich bei ca.14,50€. So wundert es nicht, das viele Kollegen 300 Stunden im Monat arbeiten müssen. Angestellte Taxifahrer, die in der Regel nur eine Umsatz-Provision und kein Basis-Gehalt bekommen, stehen zudem häufig durch sog. Lohnmodelle unter einem erheblichen Druck, entsprechende Monatsumsätze zu erwirtschaften. Schaffen sie ihre Vorgaben nicht, sinkt sogar ihre Umsatzbeteiligung.
Wie es anders gehen kann, nämlich mit guter wirtschaftlicher Perspektive, zeigen Großstädte wie Stuttgart oder München, wo die Anzahl der Konzessionen limitiert ist.
Natürlich ist es nicht in Ordnung, Umwege zu fahren. Allerdings sollte auch klar sein, dass kein Kollege begeistert ist, wenn er nach einer Stunde Wartezeit vom Posten Gänsemarkt für 4,80€ zum Michel fahren soll. Ein Taxi in Hamburg für die Kundschaft vorzuhalten kostet pro Stunde 10€. Eine Fahrt für 4,80€ ist daher defizitär und muss durch andere, deutlich lukrativere Fahrten ausgeglichen werden. Jeder Taxi-Kollege wird davon berichten können, Schichten gefahren zu haben, wo die Einnahme gerade einmal die Kosten gedeckt hat, Gewinn aber nicht entstanden ist. Die "Hamburger Morgenpost" suchte für ihren eigenen Test dazu noch gezielt Taxistände mit bekanntermaßen langen Standzeiten aus und testete die Gemütslage der Kollegen mit der Nennung ultrakurzer Fahrziele mit 0,5 – 1,5 Kilometern Fahrstrecke. So ist es recht einfach, einen Pawlowschen Reflex auszulösen – seriöser Journalismus sieht anders aus.
Für ein Überangebot an Taxen und die nicht kostendeckenden Tarife im Kurzstreckenbereich ist die zuständige Behörde BWVI verantwortlich. Genauso für eine unzureichende Qualität der Prüfung für den Taxen- und Unternehmerschein. Es ist der Behörde bekannt, dass zahlreiche angehende Taxifahrer mehrere, manche gar zehn oder noch mehr Anläufe brauchen, um die Ortskundeprüfung zu schaffen. Warum wird im Taxengewerbe eine beliebige Anzahl von Versuchen zur Erlangung des Personenbeförderungsscheins geduldet, zumal es nicht einmal irgendwelche zeitlichen Sperren nach mehreren misslungenen Prüfungen gibt, nach denen erst weitere Anläufe gestattet wären? Eine echte Qualitätssicherung oder gar Fortbildungsangebote existieren im Taxengewerbe so gut wie überhaupt nicht.
Die Zahlung mit Kreditkarte ist im Hamburger Taxengewerbe ein ewiges Reizthema. Service für den Kunden ist wünschenswert. Aber warum sollen die Taxenunternehmer die zusätzlichen Kosten komplett allein tragen, nicht die, die diese Extraleistung in Anspruch nehmen? Wird ein Flug mit Kreditkarte gebucht, kostet das schon mal 10€ extra. Die Betreiber der Taxen dürfen weder einen Aufschlag für Kartenzahlung berechnen, noch die Möglichkeit einer Kartenzahlung durch eine leicht erhöhte Grundgebühr kompensieren. Es müssen mobile Kartenlesegeräte angeschafft werden, die einmalig ca. 1000€ kosten, und dann werden dem Leistungserbringer auch noch vom Fahrpreis 4% Bearbeitungsgebühr abgezogen – von der zwei- bis dreiwöchigen Wartezeit bis zum Zahlungdseingang ganz zu schweigen. Das erklärt den Unwillen, EC- und Kreditkarten zu akzeptieren. Es geht auch anders: In Berlin, in einem deutlich kaufkraftschwächeren Umfeld, sieht der dortige Taxentarif eine 1,50€ Gebühr für jede Karten-Transaktion vor. Hier könnte die Hamburger Behörde zugunsten der zahlreichen Kundenwünsche nach bargeldloser Bezahlung einlenken und zugleich den Taxenunternehmern helfen, durch die Akzeptanz von Kartenzahlungen nicht noch wirtschaftliche Einbußen zu erleiden.
Seit Jahren ist es in Hamburg gängige Praxis, bestimmte Gruppen im Taxengewerbe quasi zu "entsorgen": Auf der einen Seite den Facharbeiter über fünfzig, der auf dem ersten Arbeitsmarkt keine Chance mehr hat und noch mindestens zehn Jahre bis zur Rente überbrücken muss. Auf der anderen Seite den Geringqualifizierten mit Migrationshintergrund, den man auf diese Weise einfach aus der Arbeitslosenstatistik entfernen kann. Die Bundesagentur für Arbeit zahlt Langzeitarbeitslosen die Kursgebühr und die Prüfung zur Erlangung des Taxischeins, und Großbetriebe bekommen Zuschüsse, wenn sie solche Taxifahrer einstellen. Vielleicht waren diese Kollegen gemeint, die nichts über Sehenswürdigkeiten und Restaurants erzählen konnten?
Die skizzierte Rahmenbedingungen und die wirtschaftliche Nöte haben einen guten Anteil daran, dass manch eine Fuhre mit Misstönen anstatt mit Dienstleistung bedacht wird.
Zur Diskussion stelle ich abschließend zwei alternierende Forderungen, die die wirtschaftliche Situation im Hamburger Taxengewerbe nachhaltig verbessern könnte und somit auch wieder mehr Qualität in den Taxen bringen würde:
– Hamburg braucht nicht mehr als 2500 Taxen, nach Möglichkeit gehalten von 2500 Einzelunternehmern.
O D E R
– Wenn ein Kunde zusteigt, kostet die Fahrt mindestens 10€. Darin enthalten 3km Fahrstrecke, Taxibestellung, Kartenzahlung. Der Fahrer ist hilfsbereit und qualifiziert, und das Fahrzeug hat ein Qualitätssiegel, vergeben von der Taxenbehörde (umweltfreundlich / gepflegter Zustand / nicht älter als 10 Jahre).
Links :
– ADAC-Test: Taxifahren in europäischen Großstädten (Oktober 2011)
– MOPO-Artikel 10.10.2011 "Jetzt schlagen die Taxifahrer zurück"
– MOPO-Artikel 8.10.2011 "Sind Hamburgs Taxifahrer wirklich so mies?"
– MOPO-Artikel 10.10.2011 online "Jetzt schlagen die Taxifahrer zurück"
– Hamburger Taxi-Gutachten 2011 vom Büro Linne & Krause
Erstveröffentlichung: 11. Oktober 2011
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