HANSA: Jeder gegen jeden im „Schwarze-Kassen-Prozess“
Zu Beginn des zweiten Verhandlungstages am Mittwoch 6. Juli 2011 teilte die Staatsanwältin dem Gericht mit, dass sie zwischenzeitlich ein Strafverfahren gegen die am vorausgegangenen Verhandlungstag von den angeklagten, ehemaligen Hansa-Vorständlern der Mitwisserschaft beschuldigten Aufsichtsratsmitglieder eingeleitet habe. Die Folge: Obwohl ihnen ein Zeugnisverweigerungsrecht als normale Zeugen nicht zustünde, dürften sie nun die Aussage verweigern, um nicht Gefahr zu laufen, sich selbst zu belasten. Der als erster Zeuge geladene, seit fünf Jahren amtierende Vorsitzende des Hansa-Aufsichtsrates Thomas Hofschulte (58) wollte von diesem Recht kein Gebrauch machen, weil er nichts zu verbergen habe und zur Aufklärung beitragen wolle.
Er klärte den Richter zunächst beredt darüber auf, dass für das Amt des Aufsichtsrates einer Genossenschaft keinerlei Qualifikation erforderlich sei. Auch er habe, nach seiner Wahl im Jahr 2006 zunächst keine rechte Ahnung von seinem Aufgabenbereich gehabt, sei aber bereit gewesen, sich weiter zu entwickeln. Weil fast der gesamte Aufsichtsrat aus Neulingen bestand, sei er auf der konstituierenden Sitzung trotz seiner Ahnungslosigkeit zum Vorsitzenden des Kontrollgremiums gewählt worden. Von Scheinrechnungen habe er weder etwas gewusst noch habe er jemals welche ausgestellt, beteuerte Hofschulte auf Nachfrage des Richters. Lediglich zur Berechnung der Aufwandsentschädigung für seine Gremienarbeit habe er diese Formulare genutzt. Zur Bekräftigung, dass ihm an einer sauberen Buchführung gelegen sei, demonstrierte er dem Richter detailliert, anhand einer vorliegenden Scheinrechnung, auf welche Weise der Aufsichtsrat die Rechnungsformulare für von Genossen erbrachte Dienstleistungen auf seine Initiative präzisieren wollte. Der Grund, aus dem dieses Ansinnen vom Vorstand so brüsk abgelehnt wurde, sei ihm erst klar geworden, nachdem die Praktiken zur Schwarzgeldbeschaffung ruchbar geworden waren.
Die Aussage wurde unterbrochen durch empörte Vorwürfe der Witwe des zwischenzeitlich verstorbenen Mitangeklagten Herbert M. gegen den Zeugen, dass er bewusst lüge. Sie könne präzise Angaben machen, die belegen, dass Thomas Hofschulte in die Vorgänge, derer ihr verstorbener Mann beschuldigt wurde, eingebunden war, stieß sie aufgebracht hervor. Der Richter ermahnte sie, die Verhandlung nicht zu stören und bat sie, in Abstimmung mit der Staatsanwältin, den Raum zu verlassen, weil sie eine mögliche Zeugin sei.
Der Richter konfrontierte den Zeugen Hofschulte mit der Aussage des jetzt angeklagten, früheren Hansa-Vorstandes Jürgen Kruse, dass er ihn frühzeitig über die Scheinrechnungspraktiken informiert habe, nachdem konkrete Hinweise zu einer Befragung geführt hätten. Hofschulte erinnerte sich vage daran, dass ein anderes Aufsichtsratsmitglied gefragt habe, ob es zutreffe, dass der Mitangeklagte "Charly" irgendwelche Rechnungen von Genossen unterschreiben lasse. Er habe der Sache keine besondere Bedeutung beigemessen und sei auch irgendwie – zumindest mental – abwesend gewesen. Trotzdem habe er zugesagt, mal den Charly und Jürgen Kruse zu fragen, was das für eine Bewandtnis habe. An eine unkorrekte Buchführung habe er nicht gedacht, weil der Hansa ja auf Kruses Betreiben scharf gegen Genossen, die sich der Umsatzverkürzung schuldig machen, vorging und sich mit aufwändigen Kampagnen der Öffentlichkeit als Vorreiter in Sachen Steuerehrlichkeit präsentiere. "Charly" sei aber zu dem Zeitpunkt nicht mehr an seinem Arbeitsplatz im Erdgeschoss gewesen und Jürgen Kruse habe ihm versichert, dass das alles Blödsinn sei. Damals habe er ihm noch bedingungslos vertraut. Das habe er dann den anderen Aufsichtsratsmitgliedern mitgeteilt und sich wieder wichtigeren Dingen zugewandt.
Trotzdem habe man die Kollegenrechnungen überprüft, allerdings ohne Hinweise auf irgendwelche Unregelmäßigkeiten. Heute wisse man jedoch, dass der Vorstand alle auffälligen Rechnungen vorher aus dem zur Prüfung vorgelegten Ordner entfernt habe. Dem Vorwurf der Staatsanwältin, dass schon anhand der Lücken in den fortlaufenden Rechnungsnummern erkennbar war, dass die Unterlagen manipuliert sein mussten, begegnete Hofschulte mit dem Hinweis auf seinen vollständig fehlenden Argwohn und seine mangelnde Fachkenntnis.
Von den tatsächlichen Verhältnissen habe er erst nach dem Auftauchen der Steuerfahndung im Jahr 2008 erfahren und sei entsetzt gewesen. Weil Vorstand Kruse noch immer nicht mit allen Details rausrücken wollte, habe er eigene Ermittlungen begonnen. Dabei habe sich eine Summe von 505.000 Euro ergeben, die von Kruse widerwillig bestätigt worden sei. Er forderte daraufhin den Vorstand zum Rücktritt auf. Trotz dieser, aus seiner Sicht empörenden Vorgänge sei Kruse auf der kurzfristig anberaumten außerordentlichen Generalversammlung wiedergewählt worden. Die Mitglieder hielten die Angelegenheit – für Hofschulte unverständlich – für eine von der Konkurrenz angezettelte Schmutzkampagne. Der Aufsichtsrats-Vorsitzende Hofschulte sah sich als Aufklärer zu Unrecht an den Pranger gestellt.
Der nächste aussagewillige ehemalige Aufsichtsrat, Robert Deifts (52) hat eine andere Erinnerung über die ersten Hinweise auf die Schwarzgeldkonten: Er gibt zu Protokoll, dem Aufsichtsrat auf einer Sitzung zu Beginn seiner Amtszeit die Information eines Genossen über den Verdacht, dass der "Hausmeister" Scheinrechnungen einsammelt, mitgeteilt zu haben. Thomas Hofschulte habe die Vorwürfe als unsinnig abgetan. Er habe sich ohnehin als Chef aufgespielt und auf der konstituierenden Sitzung wegen seines großen Wahlerfolgs auf den Posten des Vorsitzenden bestanden. Trotzdem versuchte man Kontakt zu Hausmeister "Charly" aufzunehmen, was aber an dessen Abwesenheit scheiterte. Deshalb bat man Vorstand Kruse persönlich zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. Dieser gab, nach kurzem Leugnen, zu, dass seit mehreren Jahren Schwarzgelder, unter Anderem für "Hotelwerbung", auf diese Weise beschafft werde. Alle Aufsichtsratsmitglieder seien über diese Tatsache entsetzt gewesen, so Robert Deifts.
Genaue Untersuchungen zum Umfang der Zahlungen lehnte der Aufsichtsratsvorsitzende ab, weil dringendere Probleme anstünden. Auch die von Deifts angemahnte Rechnungsstellung mit betriebseigenem Briefkopf hielt Hofschulte für überflüssig, weil die bisherigen Formulare den Anforderungen der Finanzämter entsprächen. Robert Deifts sei nach etwa einem halben Jahr als Aufsichtsrat zurückgetreten, weil eine sinnvolle Arbeit mit dem übermäßig dominanten Vorsitzenden Thomas Hofschulte nicht möglich gewesen sei. Grund sei weniger die mangelnde Aufklärungsbereitschaft in der Schwarzgeldaffäre, sondern eher eine – auch gegen ihn gerichtete – Hansa-interne Hetzjagd auf Mehrwagenbetriebe und ein mangelhaftes Demokratieverständnis des Vorsitzenden. Er habe aber, auf der Krisen-Generalversammlung im Jahr 2008, im Gegensatz zu Thomas Hofshculte, die Genossen in einem langen Redebeitrag umfassend über die Angelegenheit informiert. Hofschulte habe die Angelegenheit als Intrige von Gegnern des Hansas und der aktuellen Geschäftspolitik dargestellt.
Der dritte aussagewillige ehemalige Aufsichtsrat, Manfred Bley (55), stellte die Abläufe vollkommen anders als Robert Deifts dar: Es habe zwar vage Andeutungen über Kollegenrechnungen gegeben, die seien aber von Vorstand Kruse sofort entkräftet worden. Hinweise auf Schwarzgeldkonten seien bis zur Betriebsprüfung im Jahr 2008 nie wieder Gegenstand der Aufsichtsratstätigkeit gewesen. Angesichts der vorausgegangenen Einlassungen von Robert Deifts bat der Richter darum, diese Aussage doch zu präzisieren. Michael Bley betonte daraufhin erneut, dass es ausgeschlossen sei, dass der Aufsichtsrat vor dem Erscheinen der Steuerfahndung im Jahr 2008 irgendwelche Erkenntnisse über die Existenz von Schwarzgeldkonten gehabt habe. Der erstaunte Richter und die um Fassung ringende Staatsanwältin bemerkten daraufhin unisono, dass dann wohl mindestens eine Person lügen müsse.
Sowohl die Staatsanwältin, als auch die Verteidigung hielten dem Zeugen Bley vor, dass er offensichtlich seine Aussage mit dem Vorsitzenden Thomas Hofschulte abgesprochen habe, um seine Mitschuld an der Angelegenheit zu verschleiern. Vorstand Jürgen Kruse betonte empört, dass er alle Aufsichtsräte umfassend über die Vorgänge informiert habe. Er hätte es auch als albern empfunden, die Praxis der Scheinrechnungen abzustreiten, weil ja ohnehin alle interessierten Kollegen Bescheid gewusst hätten. Der im Zuschauerraum sitzende Aufsichtsratsvorsitzende Thomas Hofschulte verlor daraufhin seine Fassung und brüllte, dass das gelogen sei.
Die Zeugenbefragung hat den Eindruck erweckt, dass es kein einheitliches, genossenschaftsintern akzeptiertes Konzept zur Bewältigung der Krise gibt. Zwar haben sich die Zeugen durchweg stolz auf die wirtschaftliche Potenz der Genossenschaft gezeigt – ansonsten kämpft aber anscheinend jeder gegen jeden. Eine zufriedenstellende Zusammenarbeit des Aufsichtsrates scheiterte im fraglichen Zeitraum offenbar an einer Vielzahl schwelender genossenschaftlicher Konflikte. Das Bild, das das Gericht von der Rolle des Aufsichtsrats durch die Zeugenbefragung gewonnen hat, ist vermutlich nicht so gut, wie von den Beteiligten gewünscht.
Text: Sven Althorn / Foto: Clemens Grün
Erstveröffentlichung: 8. Juli 2011
Anmerkung von Redaktionsmitglied Clemens Grün: Alle drei Mitglieder der Redaktion sind diese und nächste Woche im Urlaub. Von daher schönen Dank an Sven Althorn, dass er den seinen für den zweiten Verhandlungstag unterbrochen hat und nach Hamburg gefahren ist. Am heutigen dritten Verhandslungstag war von uns niemand anwesend, über den Verlauf kann man sich aber bei Jörn Napp informieren. Seine Berichte über die ersten beiden Verhandlungstage waren sehr sachlich und in den Details ganz überwiegend richtig wiedergegeben, so dass wir gerne auf seine Berichte vom (juristisch korrekt:) 3. Verhandlungstag verweisen möchten.
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