MYTAXI: Greift die Car2Go-Firma nach dem Pionier für Taxi-Apps?

Die Telekom mit der Tochterfirma T-Venture war der erste größere Investor bei mytaxi. Und in zweifacher Hinsicht vielleicht der Wichtigste: Einerseits kamen die magentafarbenen Millionen gerade richtig, um mit vielen neuen Programmierern und teuren externen Experten die Server-Software neu schreiben zu können. Die hatte monatelang im Hamburger Testbetrieb 2010 klaglos funktioniert, um in den nachfragestarken Freitagnächten zum Jahresende 2010 (Weihnachtsfeiern!) und dann erst Recht in der Silvester-Nacht 2010/11 zu versagen. Und andererseits ist ein renommierter Großkonzern wie die Telekom ein wichtiger Türöffner für ein Start-Up wie „Intelligent Apps“, um weitere Finanzierungsrunden erfolgreich platzieren zu können und an neue Investoren zu gelangen. So kamen beim nächsten „Geld-Einsammeln- und-Anteile-abgeben“  die Daimler-Tochter moovel (Car2Go) an Bord nebst einigen weiteren kleineren Investoren wie dem Xing-Gründer Lars Hinrichs oder dem derzeit in der TV-Show „Die Höhle der Löwen“ auf VOX agierenden Frank Thelen (e24 GmbH).
 
Doch das Wachstum von Personal und Kosten gestaltete sich in der Folge noch dynamischer als die Zunahme an Touren und Provisions-Einnahmen. Eine dritte Finanzierungsrunde 2013 gestaltete sich schon deutlich zurückhaltender, die vermutlich nicht so bedeutende Höhe verschwand, ganz anders als bei der zweiten, hinter ungefähren Angaben. Das Projekt, mit dem für die 3. Finanzierungsrunde geworben wurde, eine Taxizentralen-Lösung auf der Basis der mytaxi-Technik, wurde lustlos mit lediglich drei Programmierern gestartet und in 2014 stillschweigend beerdigt. Statt mit mehr und vor allem pfiffigeren Marketing (Aktionen wie die Klowerbung, siehe Foto, gab es schon lange nicht mehr – alles versank im langweiligen Design für überraschunsunwillige Angestellte), auch mit effektiveren Außendienstlern für zusätzliches Touren- und damit Einnahmen-Wachstum zu sorgen, erfand mytaxi ein neues Vermittlungs- und Provisionssystem und presste fortan mehr Vermittlungsgebühr aus den von mytaxi vermittelten Touren. Zwischenzeitlich wurde der mytaxi-Belegschaft eine 40%-Umsatzsteigerung für 2014 gegenüber dem Vorjahr auferlegt – angesichts der schlechten Stimmung bei den allermeisten mytaxi-Kutschern und der verflogenen Euphorie bei vielen Tourbestellern ein ambitionierter Wert.
 
Dazu kommen jene Wagen und Fahrer, die ob der als schwer unfair empfundenen faktischen Gebühren-Anhebung nicht nur grummelten, sondern mytaxi ganz den Rücken gekehrt haben. 1000 Taxis gab Sven Külper, Mitgründer und -geschäftsführer bei mytaxi, in einem Interview als für mytaxi verloren an. Er beruhigte damit, dass mytaxi nun immer noch 17.000 (statt vorher 18.000) Taxis unter Vertrag hätte. Doch diese Zahl ist schwer unglaubwürdig. TAXI-MAGAZIN.DE hat in mehreren Sitzungen die gleichzeitige Verfügbarkeit von mytaxi-Wagen dokumentiert, und zwar weltweit. Die dort zu zählenden Wagen betragen in etwa ein Zehntel der vorgeblichen Wagenzahl. Nun wissen Kenner, dass nie alle Taxis gleichzeitig den Kunden zur Verfügung stehen. Aber selbst wenn man von nur einem Drittel von gleichzeitig bei der mytaxi-Vermittlung angemeldeten Wagen ausgeht, wären das maximal zwischen vier- und füntausend.  Weltweit. Also weniger Wagen, als alleine die Großzentrale von Hermann Waldner (auch: taxi.eu-App) in Berlin unter Vertrag hat. Von diesen vier- bis fünftausend dürften ca. dreiviertel alleine in Deutschland Fahrgäste befördern – da sind (freiwillig eingeräumte) 1000 Taxis, die mytaxi den Rücken gekehrt haben, ein beträchtlicher Aderlass. Fakt ist jedenfalls, dass sich in den letzten Monaten immer wieder via mytaxi bestellende Kunden über längere Anfahrtzeiten bei ihrem Taxifahrer beschwert haben.
 
Beobachter führten die Einführung des neuen Vermittlungs- und Provisionsmodells auf Investorendruck zurück. Eine Annahme, zu der es weder in Medien und Öffentlichkeit noch in kleinen Runden jemals ein glaubwürdiges Dementie gab. Schon vor Monaten machten Gerüchte die Runde, zwei von der Telekom entsandte Controller prüften die mytaxi-Zahlen und -Ausgaben auf Plausibilität und Notwendigkeiten. Dazu passte die bestätigte Meldung, dass in Bonn, Sitz der Telekom, der Mutterkonzern Werbung für ein neue „Funkbezahlungssystem“ auf Taxis platzierte und die Taxifahrer dafür mit einem € 1.200 teuren Hardware-Paket ausstattete. Bedingung: Wer das nutzt, muss während der sechsmonatigen Werbezeit auf die Nutzung von mytaxi verzichten. Waren solche Unfreundlichkeiten zwischen Vertragspartnern nur ein unglücklicher Zufall, weil eine Hamburger Agentur so etwas in die Vertragsbedingungen aufgenommen hatte? Oder waren es erste Absatzbewegungen eines enttäuschten Investors? Immerhin behaupten mytaxi-Insider, dass die Telekom in Bonn fleißig weiter mit den mytaxi-iPads Touren bestellen würde.
 
Nun berichtet ein Insider von einem Termin gestern in Stuttgart, bei dem die Daimler-Tochter moovel das Hamburger Start-Up übernommen haben soll. Anfragen bei den Pressesprechern von mytaxi („Zu Gerüchten nehmen wir keine Stellung“) und moovel („Dazu kann ich Ihnen nichts sagen“ – die Nachfragen ergaben für den Autor zweifelsfrei, dass „kann“ im Sinne von „darf/werde“ und nicht im Sinne von „weiß ich nicht“ gemeint war) führten zu professionellem Gemauer. Auch Anfragen bei weiteren mytaxi-Investoren ergaben kein anderes Bild.
 
Festzuhalten bleibt: Keiner der angesprochenen Firmen hat auch nur den Hauch eines Dementis formuliert. Klarheit, ob jetzt moovel die gesamte Firma übernimmt oder nur das Produkt „mytaxi“, oder ob vielleicht nur einzelne Investoren untereinander gedealt und so die internen Mehrheits- und Machtverhältnisse verschoben haben, werden sicherlich die nächsten Tage und Wochen bringen. Auch, wie es mit mytaxi weitergeht. Denn ob Daimler besonders erpicht ist, sich Ärger mit größeren Teilen des Taxigewerbes einzuhandeln, welchem mehrheitlich die Tour-Vermittlung außerhalb der etablierten Taxizentralen schon länger ein Dorn im Auge ist, bleibt abzuwarten. Und die Minderheit von Taxifahrern, welche bisher mytaxi nutzt, würde überhöhte Vermittlungspreise zukünftig direkt dem Daimer-Konzern zuordnen. So viele Tour-Provisionen können gar nicht über die Taxi-App erzielt werden, wie Umsatzeinbrüche durch verärgerte Taxler bei Autoverkäufen kosten könnten.
 
Dass moovel ein nachvollziehbares Interesse an mytaxi vorweisen kann, ist allerdings unbestritten. Denn die App des moovel-Vorzeigeprojekts Car2Go wurde von mytaxi geschrieben. Beobachter fragen sich nun, ob sich Daimler tatsächlich eine Tourvermittlung gekauft hat – oder eher ein eingespieltes Programmiererteam. Vielleicht werden die bisherigen mytaxi-Bestellkunden auch demnächst ein Update eingespielt bekommen, um danach mit ihren Tourenwünschen bei einem der besser kapitalisierten und expansionswilligen Läden wie „Hailo“ oder gar „Easy Taxi“ der berüchtigten Samwar-Brüder („Zalando“) zu landen. Dass sich Kunden von Taxi-Apps, sogar zahlende wie Taxifahrer, mittlerweile mehr und mehr als Verfügungsmasse von Start-Ups und deren Investoren degradiert sehen, davon können die mytaxi-Fahrer seit dem 8. Januar 2014 ein Lied singen. Da wurde ihnen sämtlichst mit einer Massen-eMail die Verträge gekündigt und schlechtere Konditionen ab dem 1. Februar angeboten. Ob der damalige Versuch eines Befreiungsschlages für die Macher und Investoren von mytaxi aufgegangen ist, wird sich in Bälde zeigen.

 

Ob sich neue „mytaxi“-Besitzer allerdings lange freuen könnten über den Erwerb der renommierten Marke, muss sich noch erweisen. Ein gewichtiges Wort haben dabei die Taxifahrer mitzureden. Sie entscheiden faktisch mit, welche Taxi-App bei Kunden installiert und auch gerne genutzt wird, und bei welcher Taxi-App eine zumindest ausreichende Bedienfähigkeit vorhanden ist. Ein Vermittlungsgeschäft wie die Touren-Makelei braucht, neben dem Makler, immer zwei interessierte bis begeisterte Abnehmer. Der eine Abnehmer vorne links im Taxi ist allerdings seit dem 8. Januar nachhaltig verstimmt. Böte sich eine gleichermaßen faire wie funktionale Alternative, würden vermutlich viele der Taxifahrer dorthin wechseln. Auf diese Wechselwilligen setzt das Projekt „Die App der Taxifahrer“, welches derzeit vorangetrieben wird.

 

 

 

 

Erstveröffentlichung: 2. September 2014
 
 
 
Text + Foto: Clemens Grün
 
 
 
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